Atommüll in der Tropfsteinhöhle

Neue Studien zum Atommüllendlager in Morsleben belegen die Durchlässigkeit auch des zweiten Schachtes. Der Bund zögert Planfeststellung und die nachfolgende Stillegung hinaus  ■ Von Gudrun Giese

Berlin (taz) – Das einzige bundesdeutsche Endlager für Atommüll in Morsleben ist noch unsicherer als angenommen. Das geht aus zwei Studien hervor, die die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe im Auftrag des Morsleben-Betreibers, der Bundesanstalt für Strahlenschutz, erstellt hat. Der alarmierende Inhalt der Untersuchungen wurde in dieser Woche durch Greenpeace an die Öffentlichkeit gebracht.

Der bisher als sicher geltende Schacht Bartensleben soll danach undicht gegen Wassereintritte sein. In diesem Teil Morslebens lagern 26.200 Kubikmeter leicht- und mittelradioaktiver Abfälle. Bis zum Jahr 2000 sollen weitere fast 30.000 Kubikmeter Atommüll hinzukommen. Die Greenpeace- Atomexpertin Inge Lindemann urteilt nach Auswertung der Studien, „daß deutscher Atommüll sozusagen in einer Tropfsteinhöhle endgelagert“ werde. „Jedes neue Faß Atommüll vergrößert das Risiko einer radioaktiven Verseuchung in und um Morsleben.“

Im Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR war vorgesehen, bis zum 30. Juni 2000 ein ordnungsgemäßes Planfeststellungsverfahren nach bundesdeutschem Recht für das einstige DDR-Lager abzuschließen; anschließend sollte Morsleben stillgelegt werden. Doch im zuständigen Bundesumweltministerium ist das Verfahren bisher nicht vorangekommen. Statt dessen will Ministerin Angela Merkel Morsleben sogar bis 2005 offen halten; mit der Begründung, das Planfeststellungsverfahren werde nicht vor 2003 abgeschlossen sein (taz vom 15.2.).

Der grüne Umweltstaatssekretär Sachsen-Anhalts, Wolfram König, bewertet dieses Vorgehen als Verschleppungstaktik und fordert die umgehende Einreichung der Planfeststellungsunterlagen im Ministerium in Magdeburg, damit Morsleben ordnungsgemäß stillgelegt werden kann. Derzeit gibt es keine atomrechtliche Grundlage für den Betrieb des Lagers. Der laufende Betrieb wurde lediglich bergrechtlich genehmigt. Außerdem, so König, habe das Bundesumweltministerium durch eine „rechtswidrige Interpretation“ des früheren DDR-Rechts die Morsleben-Genehmigung auf das Zehnfache der Einlagerungsmenge und das Zehntausendfache der Radioaktivität ausgeweitet.

Sowohl die sachsen-anhaltinische Umweltministerin Heidrun Heidecke als auch Greenpeace fordern den sofortigen Stopp aller Einlagerungen. Die Bundesregierung habe offenkundig kein Interesse am Planfeststellungsverfahren, da hierfür alle Gutachten offengelegt werden müßten, die den desolaten Zustand des Lagers dokumentieren, meint Greenpeace- Expertin Lindemann.