„Politik machen die anderen“

Eine Halbierung der Arbeitslosigkeit ist möglich, sagen Wissenschaftler des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Aber für ihre Studie interessiert sich keiner so richtig  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Es ist schon frustrierend, daß niemand die eigentliche Botschaft versteht.“ Peter Schnur ist wissenschaftlicher Direktor am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Denkfabrik der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit. Tagelang hat er zusammen mit seinen Kollegen Wolfgang Klauder und Gerd Zika die Computer mit 2.200 Zeitreihen und knapp 1.400 Gleichungen gefüttert. Herausgekommen ist eine Studie mit dem vielversprechenden Titel „Strategien für mehr Beschäftigung“. Ein Bündel von Maßnahmen, an dessen Ende etwa zwei Millionen neue Arbeitsplätze stehen, also etwa eine Halbierung der jetzigen Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000.

Das mit dem Jahr 2000 wird wohl nichts mehr werden, da sind sich die Forscher einig. Schon ein halbes Jahr seit Veröffentlichung der Studie ist verstrichen, und jeder, so beschwert sich Schnur, picke sich „weiterhin nur seine Rosinen heraus“. Dabei war die IAB- Botschaft eindeutig: „Zum raschen, deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit bedarf es eines Strategiebündels, das von Staat und Tarifpartnern gemeinsam getragen wird.“

Arbeitszeitverringerung, mehr Teilzeit, Abbau von Überstunden, zurückhaltende Lohnpolitik, Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie eine Konsolidierung des Staatshaushalts unter der Bedingung, daß kaufkraftmindernde Bestandteile erst verzögert in Kraft treten – werden all diese Komponenten umgesetzt, dann werde es, so ergaben es die Simulationsrechnungen der Arbeitsmarktforscher, einen spürbaren Beschäftigungszuwachs geben. „Nur die Gewerkschaften haben mit ihrer Lohnzurückhaltung eine Vorleistung gemacht“, bilanziert Schnur.

Während Schnur schon seit 1969 am IAB tätig ist und sich deshalb im Institut als „Obergruftie“ fühlt, ist Gerd Zika erst seit knapp zwei Jahren am Nürnberger Institut. Es ist seine erste Studie, und schon sieht sich der 32jährige mit dem Dilemma der Arbeitsmarktforschung konfrontiert: „Wir zeigen auf, erklären und machen nur Vorschläge. Die Politik machen die anderen.“ Was da passiert, löst bei Zika oft nur Kopfschütteln aus. Da wird die Verlängerung der Lebensarbeitszeit beschlossen: „Das ist doch klar, daß das die Erwerbslosigkeit erhöht.“ Da gibt es jährlich 1,8 Milliarden Überstunden in der freien Wirtschaft: „Wenn so viele auf der Straße sind, darf das doch nicht sein.“

Schnur und Zika sehen kleine Anzeichen dafür, daß die Arbeitgeberseite sich bei Modellen der Arbeitszeitverkürzung bewegt. Wenig Hoffnung haben sie jedoch bei der Bundesregierung. Für die rigide Sparpolitik zur Konsolidierung des Haushalts gibt es für die Wissenschaftler nur ein passendes Wort: „kontraproduktiv“.

Gerade bei der jetzigen konjunkturellen Situation die öffentlichen Investitionen herunterzufahren, halten beide für einen großen Fehler. „Negative Beschäftigungseffekte sind besonders hoch und letztlich auch die Einspareffekte im Staatshaushalt besonders gering, wenn zuerst oder vor allem die öffentlichen Investitionen gekürzt werden“, heißt es klipp und klar in der Studie. Wenn die öffentliche Hand jetzt zehn Milliarden Mark mehr ausgäbe, würde sie das nur etwa ein Drittel kosten, rechnet Zika vor. Die Mehrausgaben würden zum Großteil durch Mehreinnahmen bei der Steuer und sinkende Ausgaben bei der Finanzierung von Arbeitslosigkeit kompensiert.

Angesichts des Schielens auf die Maastricht-Kriterien wird es aber voraussichtlich beim Rechenexempel bleiben, auch wenn sich inzwischen Bernhard Jagoda, Präsident der Nürnberger Anstalt für Arbeit, ebenfalls für ein Investitionsprogramm ausgesprochen hat. Eine Halbierung der Arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Einhaltung der Maastricht-Kriterien hält Zika für „äußerst schwierig“. Auf ein „Unmöglich“ will er sich jedoch nicht einlassen. „Unmöglich ist gar nichts“, betont er, ganz Wissenschaftler. „Wer hätte in den 70er Jahren mit der deutschen Einheit gerechnet?“

Klar ist für beide Wissenschaftler, daß es bei einer so hohen Arbeitslosenquote „nicht mehr lange so weiter gehen wird wie bisher“. Aufgrund seiner 28jährigen Tätigkeit beim Nürnberger Institut hat Schnur noch mitbekommen, wie im Januar 1975 die Arbeitslosenzahl die Ein-Millionen-Grenze und acht Jahre später die Zwei- Millionen-Grenze überschritten hat. Im letzten Monat wurde dann, bezogen auf die alten Bundesländer, die Drei-Millionen-Schwelle überschritten. Die Ruhe im Land kann sich Schnur nur mit dem bislang gut ausgebauten sozialen Sicherungssystem erklären. Derzeit werde aber „von der sozialen Marktwirtschaft ein Buchstabe nach dem anderen bei ,sozial‘ weggekürzt“.