Dem Castor auf der Nase herumtanzen

■ Vier junge Frauen auf dem Hochseil stoppten den Atommülltransport vorübergehend

Acht Polizeihubschrauber umkreisen den Castor-Transport. Signal zum Aufbruch an der Dannenberger Verladestation. Die Straße ist nach sieben Stunden Dauerwasserwerfereinsatz endlich frei gespritzt. Der Befehl „Wasser marsch!“, gegeben morgens um halb vier, hat den Demonstranten das wirkliche Blockadeerlebnis verschafft. Unvorbereitet trifft er die Sitzblockierer nicht. Im Nu schweben Plastikbahnen über den Köpfen, weiße, schwarze, bunte. Ganze Gruppen singen unterm Verdeck Lieder vom weichen Wasser, das den harten Stein besiegt. Oder auch Yellow Submarine. Gemeinsames Dach fördert den Zusammenhalt. Man ruft sich die Codenamen der Bezugsgruppen zu. „Alzheimer“, „Mexiko“, „Roter Oktober“, die größte Gruppe scheint „Schopenhauer“ zu sein. Wildes Gezerre an den Planen – von Polizei auf der einen, Blockierern auf der andern Seite. Schließlich öffnet ein Hannover- Berlin-Magdeburger Polizeikommando die Gasse mit Gummiknüppeln und Fäusten. Einfach drauf auf die Körper, die sich unter den Planen abzeichnen.

Castor fährt los. Er fährt nicht weit. Zwischen zwei Eichen haben vier junge Frauen im Morgengrauen zwei Bergsteigerseile gespannt. Jetzt um elf Uhr sind sie die einzigen, die dem Castor noch auf der Nase herumtanzen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wippen und balancieren von einer Eiche zur anderen, bejubelt von Tausenden. Sie sind eine Provokation für die Polizisten aus Berlin und Niedersachsen, die direkt unter diesen tanzenden Hexen ihre Knüppel auf die Köpfe von Demonstranten sausen ließen. Der erste Versuch, die Mädchen vom Seil zu holen, scheitert kläglich. Ein Polizist versucht nach Cowboyart, sie mit dem Lasso zu fangen. Aber die Mädchen fangen das Seil und werfen es seinen Kollegen auf den Kopf. Auch der zweite Versuch mit der Leiter geht daneben. Die Polizisten ziehen ab.

Sie müssen abziehen, denn der Castor kommt. Silbern glänzend steht er da, höchsten zwanzig Meter entfernt. Und dann machen zwei der Seiltänzerinnen einen Fehler, sie hängen sich in ihre Gurte und turnen über dem vorabfahrenden Panzerwagen herum. Erst zwei, dann auch die dritte werden von Polizisten an den Beinen erwischt, heruntergezerrt, ihre Seile durchschnitten. Jetzt tanzt nur noch eine, eine mit leuchtendroten Haaren. Nur ihretwegen muß der Castor noch weitere zwanzig Minuten auf der Bundesstraße warten. Einem Polizeikletterer gelingt es, das Seil zu erklimmen, ihre Haltegurte zu kappen.

Er läßt sie langsam heruntergleiten. Es sieht respektvoll aus. Es ist ein würdiges Ende. Anita Kugler,

Bezugsgruppe „Hallogen“