: Um halb fünf ist die Deeskalation vorbei
Irgendwie hat das einen Kick. Das sagen die jungen Sitzblockierer vor dem Verladebahnhof in Dannenberg. Was als Happening beginnt, endet in den scharfen Strahlen der Wasserwerfer ■ Aus Dannenberg Constanze von Bullion
Eine Hand kann er noch hochreißen. Da sind sie schon bei ihm. Zwei dralle Enddreißiger, rot im Gesicht und mit Schweiß hinterm Visier. Der größere tritt die kauernden Gestalten am Boden in die Nieren. Greift Uli Grünbaum von hinten ins Gesicht. Packt seine Nase. Und zerrt ihm den Kopf zurück. „Ich hab' nen Gips am Arm!“ schreit der junge Mann ins Gedröhn des Wasserwerfers. Dann haben sie ihn schon in der Zange und schleifen ihn in den Straßengraben. Damit er endlich doch noch rollen kann: der Castor- Transport nach Gorleben.
7.000 haben sich hingesetzt. Auf die Straße, die vom Verladekran im Bahnhof in Dannenberg zum Zwischenlager fährt. Genauer: auf die letzte direkte Zufahrtsstraße nach Gorleben, die nach vier Tagen Dauerprotest im Wendland noch befahrbar ist. Vier Tage und Nächte haben Schüler und Studenten, Anwohner und Angereiste, viele kampferprobte Demo-Fossilien und noch mehr aufgekratzte Neueinsteiger hier den gewaltlosen Aufstand geprobt.
Sie haben sich quergelegt, haben Stroh auf die Straße geschüttet und ihre Schlafsäcke darauf ausgebreitet. Um in der Nacht zum Mittwoch ein Spektakel der ganz besonderen Art zu erleben.
„Klar haben wir Angst“, sagt Tino Kretschmann, kurz bevor es losgeht, und schreibt sich noch schnell die Nummer vom Ermittlungsausschuß auf den Unterarm. Die anderen packen ihre Schlafsäcke ein. Mit pennen wird's heute nacht wohl nichts mehr.
Um kurz vor eins, mitten in der Nacht, ist das Spalier von Uniformierten plötzlich enger zusammengerückt. Hubschrauber jagen mit Suchscheinwerfern über die Felder. Neben dem Stacheldraht, hinter dem die erste Castor-Kiste silbrig schimmert, schiebt sich ein Wasserwerfer vor. Genau auf Tino zu. Und auf seine vier Mitstreiter, die neben ihm vor dem Hinterausgang des Bahnhof lagern. In zweiter Reihe. Weil er „die Engergiewende durchsetzen“ und „Druck auf der Straße machen“ will, ist Tino aus Berlin losgefahren. Hat sich verabredet mit seinen alten Freunden aus Köthen in Sachsen- Anhalt. Mit Steffi Grohmann aus Halle. Die studiert Erziehungswissenschaft und hofft, „daß der Castor-Transport so viel kostet, daß die Leute ihre Steuergelder nicht mehr dafür hergeben wollen“. Eine „härtere Atom-Diskussion in den Medien“ wünscht sich Uli Grünberg, auch Hallenser und Medizinstudent. Für Marie-Luise Ziehn hängen „Politik und Christentum ganz eng zusammen“. Sozialarbeiterin Christine Müller ist wie die anderen „zum erstenmal bei einer Sitzblockade“. Sie sucht „phantasievollere Protestformen als Steineschmeißen“.
„Keine Gewalt“ ist oberstes Gebot bei der Blockade von „X-tausendmal quer“. Aber keineswegs das einzige. Straff durchorganisiert sind die Widerständler auf der Straße. Mit deutscher Gründlichkeit hat man Gruppensprecher und Abschnittssprecher eingesetzt, über Lautsprecher warnen Helfer regelmäßig vor Provokateuren, geraucht wird nur im Straßengraben – nach dem Essen, das Nachbarinnen stets zuverlässig vorbeibringen. Wenn sie nicht gerade singen. Pausenlos und immer wieder. La ola läuft durch die engbesetzten Reihen, als schließlich der Countdown beginnt.
Dritte Aufforderung zur Auflösung der Demo, von „Schlagstöcken in Notwehrsituationen“ ist die Rede. Die Prominenz von den Bündnisgrünen verzieht sich aus dem Scheinwerferlicht. „Da setz' ich doch lieber mal die Kapuze auf“, sagt Christine. Es ist zwanzig nach eins. Was dann kommt, ist allerdings eher ein absurdes Theaterstück als die große Schlacht. Vorerst zumindest.
„Würden Sie bitte aufstehen“, wird Tino von einem lächelnden Polizisten aufgefordert. Und weil er nicht möchte, heben zwei Grenzschützer ihn hoch, hieven ihn durch die Wand der Fotografen, die sich um die besten Plätze balgen. Und lassen ihn in den Graben rutschen. Die andern vier hinterher. „Irgendwie hat das einen Kick“, findet Steffi, setzt sich ein paar Meter weiter hinten wieder hin und läßt sich noch mal abräumen. Die Stimmung steigt. Das Lied von Pippi Langstrumpf pfeifen die Blockierer, während die Einsatzgruppen sich vorwärtswühlen. Unter Hunderten weißer Helme rudern, zerren, schaufeln sie sich durch die Sitzenden. Verdammt anstrengend, die reglosen Bündel aus den Ketten zu lösen und wegzuschleppen. Je länger es dauert, desto härter wird zugepackt. Doch die grüne Kolonne wird immer langsamer.
Die fünf aus Sachsen-Anhalt sitzen schon längst wieder im Stroh und warten auf den nächsten Lift in den Graben. Aber der kommt nicht mehr. Die Polizei ist steckengeblieben. 40 Meter in einer Stunde, um halb fünf wird die Deeskalation aufgegeben.
Wasserwerfer also. Tino wird es „bißchen mulmig“. Aus den hinteren Reihen werden Planen nach vorn geschickt. Was wie ein Volksfest angefangen hat, scheint in einem Fiasko zu enden. Für die Polizei. Bei Sonnenaufgang wollte man durchsein durch die Blockade. Statt dessen sind nur ein paar hundert Meter geschafft.
Krisenstimmung bei der Einsatzleitung. „Letztes Jahr haben wir das Problem in der halben Zeit gelöst“, sagt einer hinter seinem Plastikschild. „Kalte Füße; Hunger; müde“, mault der Nachbar. Eine junge Polizistin kommt offenbar nicht klar damit, daß sie immer wieder „Der Mond ist aufgegangen“ und „We Shall Overcome“ hören muß. „Doll, wie die sich einsetzen“, rutscht es ihr raus.
Vorn wird der Wasserstrahl inwischen schärfer. Schneller geht es deshalb auch nicht. Die Demonstranten haben sich in abenteuerliche Plastikklamotten gewickelt.
Ein Stück weiter hinten in der Blockade, wo der Wasserstrahl noch nicht angekommen ist, kauern fünf todmüde Gestalten im Stroh. Über den Köpfen hängt jetzt eine schwarze Plane, warm und dampfig ist es da drunter. Tino reicht's langsam. „Das ist doch wie früher in der DDR“, sagt er, „wieso darf man in einem Rechtsstaat nicht seine Meinung sagen?“ Und haut ab mit Marie. Zurück ins Camp, ausspannen, die ersten Sonnenstrahlen genießen.
Steffi, Christine und Uli bleiben in der Blockade. Uli trotz gebrochenem Arm, den hat er von einer Faschingsparty. Daß sie den Transport schon ein paar Stunden aufgehalten haben, macht wieder Laune. „Da sieht man's wieder“, kichert Steffi, „wir sind das Volk. Schon wieder.“
Dann prasselt es los. Die Plane wird weggerissen, die grünen Trupps stürzen los. Müde und gereizte Gesichter überall, schwarze Handschuhe krallen sich in Augen und Ohren. Platzwunden gibt es jetzt. Steffi heult, als sie rauskommt, Uli hat Nasenbluten, Christine die Schnauze voll „von den aggressiven Typen“. Erst mal Pause machen am Feuer. Uli stopft sich ein Papiertaschentuch in die Nase. „Ich bleibe hier stehen, bis es vorbei ist“, sagt Christine trotzig. Ob sie später rüberlaufen zum Zwischenlager, überlegen die drei. Da soll's die nächste Aktion geben.
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