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Flächen, daß es einem schwindelig wird: die Fotografien von Axel Hütte

Die Romantik scheint eine der Grundgestimmtheiten des Menschen zu sein. In immer neuen Spielarten taucht sie auf, um einen für sich einzunehmen.

Was die Ingredienzien dieses Gemütszustandes angeht, so zeigen die Fotografien des fünfundvierzigjährigen Esseners Axel Hütte, die derzeit im Fotomuseum Winterthur zu sehen sind (bis 31.März; bei Schirmer & Mosel ist ein Bildband erschienen: „Theorea“, 84 Seiten, 58 DM), daß der romantischen Regung nicht nur Melancholie und Heilserwartung, sondern auch Kalkül zugrunde liegen können.

In den mit einer großformatigen Plattenkamera nach klassischen malerischen Kompositionsprinzipien in einem Londoner Hochhausviertel aufgenommenen Stadtpanoramen werden die Gebäude im Vordergrund von gestochen scharfen senkrechten und horizontalen Linien regelrecht seziert. Im mittleren Teil der Bilder dagegen dominieren Farbvaleurs in Abstufungen von Rot über Braun bis Grau. Und über allem öffnet sich ein großer, heller, unendlich weiter Himmel.

Noch deutlicher ist diese Ambivalenz bei den Landschaftsaufnahmen. Seit Jahren zieht es Hütte, der von 1973 bis 1980 in Düsseldorf bei Bernd (und Hilla) Becher studierte, in die Berge. Von hoch oben fotografiert er hinunter in die Ebenen, darüber türmen sich Wolken, Nebel, weiße Flächen auf, daß es einem schwindelig wird. Die Abbruchkanten der Felsmassive, die sowohl den Standort des Fotografen lokalisieren helfen als auch die Perspektive der BetrachterInnen vorgeben, liegen besorgniserregend tief. Unbehagen stellt sich ein.

Hüttes Thema ist nicht das Bild von Stadt und Natur im engeren dokumentarischen Sinn, es ist viel eher ganz allgemein die Erfahrung des Ausgeliefertseins. Übermächtig und unüberwindbar scheinen die Motive sich vor einem aufzubauen. Die Empfindung für Entfernungen verschwindet, vertraute Maßstäbe gehen verloren, die Schau in die Ferne verbindet sich mit extremer Nahsicht: Der romantische Blick, den Hütte vorführt, eignet sich nicht als Projektionsfläche für Utopien und ist nur zur Hälfte sehnsuchtsvoll. Die andere Hälfte ist ein höllischer Respekt vor den Dingen. Ulrich Clewing

Abbildung: „Oberalp, Schweiz/

Suisse“, 1996

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