: Olivenbrotmondphasenmassage?
Fremdenverkehrsdirektoren preisen die regionalen Schmankerl, Experten deuten Zielgruppen aus. Auf der Suche nach dem USP – Plädoyer für ein lustvolleres Deutschland-Marketing ■ Von Alexander Dill
In der Sprache des Marketing gibt es ein Kürzel: USP. Auf deutsch: Unique Special Product oder Unique Selling Point. Jeder Hersteller von Konsumgütern ist auf der ständigen Suche nach einem winzigen Unterschied zum Konkurrenzprodukt. Dieser Unterschied kann in der Qualität liegen, aber auch in Service und Preis, sogar nur im Image selbst.
Die deutschen Tourismuswerber befinden sich also auf der Suche nach dem USP. Dabei werden sie von mehr oder weniger professionellen Werbeagenturen unterstützt. Wie Ethnologen betrachten diese die deutschen Tourismusmanager und machen Vorschläge. Dabei geraten beide in eine völlig paradoxe Situation: Während die Fremdenverkehrsdirektoren die besonderen Schmankerl ihrer Region auflisten, raten die Experten zu „zielgruppengerechten“ Programmen. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß sie europa- und weltweit identisch sind. Da gibt es den „zünftigen“ Hüttenabend für ältere Ehepaare, die „Techno- Party“ für die Kids, das dreitägige „Adventure-explorer-Bungee- jumping-Paragliding-Rafting-Balooning“ für höhere, männliche Büroangestellte und die „Yoga- Thai-chi-Fußreflexzonen-Olivenbrot-Mondphasen-Massage“ für die dazugehörige Dame.
Die Profis raten nun den Amateuren, ihr USP, nämlich die „älteste erhaltene Burgwehr aus dem 12. Jahrhundert“, mit dem ÜGP, dem Überall-gleich-Produkt, zu verbinden. Das Ergebnis: „Falkengleiten in mittelalterlichen Kostümen im Erlebnisbad Naturpark Oberuntertal“. Zwei Wochen HP für 549 Mark, Begrüßungssekt und Überraschung auf dem Zimmer: Dort liegt der Prospekt „Wanderwege im Huhn-Elster-Gebiet“, Schmankerlstationen sind gelb, Parkplätze grün verzeichnet.
Was allen recht ist, ist aber niemandem lieb. Ferien sind eine hochemotionale Angelegenheit. Wir wollen doch in Wirklichkeit gar nicht wissen, daß wir nach zweistündiger Wanderung eine Bauernwirtschaft finden, sondern wir wollen sie „zufällig“ entdecken und dann von ihr schwärmen. Wir wollen von einem Einheimischen zum nächtlichen Fischen auf dem See eingeladen werden und dabei eine Flasche Korn trinken. Die Kinder nisten sich in einem abgebrannten Holzstall ein, nicht in der „McSuper-Mario-Rutsche“.
Der Erfolg unserer Nachbarn (die übrigens weltweit führend sind), beruht darauf, daß sie jedem Besucher das Gefühl geben, der einzige zu sein. Deshalb türmten wir zwischen 1986 und 1995 ein gesammeltes Defizit zwischen Einnahmen von ausländischen Touristen und Ausgaben deutscher Besucher im Ausland auf: 352 Milliarden Mark. Sagen wir es ruhig: Es bereitete uns große Lust, in Volterra statt in Helmstedt essen zu gehen. Das deutsche Tourismusdefizit wird nicht nur durch die Pauschalreisenden, sondern auch durch die wochenendlichen Individualreisenden verursacht. Während die Pauschalreisenden einmal im Jahr 14 Tage fliehen, wobei die Hälfte der Kosten allein der Flug ausmacht, fahren unsere individuellen Land-und-Leute-Kenner gut und gerne zwanzigmal (!) in die nähere Umgebung. Schlemmen im Elsaß, Skifahren in Tirol, einen Espresso am Luganer See, drei Tage in dänischen Dünen, Weekend Amsterdam, Budapest.
Diese Gruppe gibt übers Jahr das meiste Geld aus. Sie wird von den deutschen Fremdenverkehrsverbänden und Tourismuswerbern bis jetzt nicht erreicht. Dabei leben wir alle in Gebieten, die sich selbst – zu Recht oder nicht – als „Fremdenverkehrsgebiete“ fühlen und ausweisen. Der zu ihnen gehörende Femdverkehrsverband klagt stets über knappe Kassen und verbringt die meiste Zeit mit Diskussionen zwischen den beteiligten Mittelständlern und den Kommunalpolitikern. Im besten Fall kommt es zu gemeinsamen Kampagnen, die jedoch aufgrund der vielen Beteiligten dadurch nicht auffallen, da sie den kleinsten gemeinsamen Nenner verkörpern. Könnte sich jemand vorstellen, daß die von uns geliebte Emilia Romagna in Radiospots damit werben würde, dort könne man „leckere Schmankerl“ essen? Der bayerische Hotel- und Gaststättenverband wirbt so. Und das Land Brandenburg droht den Berlinern mit so einer Aktion. Jeder Hörer aber weiß, das die Schmankerln nur in wenigen Gaststätten lecker sind. Deren Adressen werden weitergeflüstert und finden sich vielleicht in qualifizierten Führern mit französischem Namen. Die individualistische Kundschaft dieser Lusttempel kann schwer als Zielgruppe beworben werden. Aber mit Ideen, List und Tücke könnten sie verführt werden. Gerüchte und Geheimtips müßten kursieren über ein original DDR-Mitropa- HO-Hotel an der polnischen Grenze, wo das Personal noch echt ist und kein Geld für die Renovierung da war. Eine sauerländische Brauerei bietet biertrinkenden Männergruppen einen Schlafsack fürs Nachtlager. Im Schwarzwald tritt jeden Samstag ein alter Mann auf, der von seinen persönlichen Begegnungen mit Heidegger erzählt. In der Telekom-Zentrale von Oberhausen können die Kids am Sonntag kostenlos im Internet surfen – das sind USP, die Deutschland braucht.
Statt Prospekten und Buchungssystemen brauchen wir USP-Berater und Kommunikationstrainer, die die jeweiligen Einheimischen in jene Originale verwandeln, die jährlich 60 Millionen Besucher nach „La France“ locken. Begleitet werden müßten sie von kulinarischen Beratern, die den deutschen Gaststätten so schwierige und exotische Gerichte beibringen wie Bratkartoffeln mit Spiegelei, Blut- und Leberwurst mit Sauerkraut, Rote Grütze, Bayrisch Crème, Wiener Schnitzel, Schweinebraten mit Semmelknödeln (Karl Valentin), Krautsalat mit Speck, Gulaschsuppe. Bisher riskiert man bei der Bestellung dieser Gerichte, einen weiteren Grund dafür zu bekommen, nur noch Kebap und Gnocchi zu essen.
Fachwerk und Burgen, günstige Bahnverbindungen und Ermäßigungen im Schwimmbad, liebe Fremdenverkehrsdirektoren sind nur die Kulisse für unseren Auftritt. Erst Begegnung und Gastfreundschaft im Geiste des Schmankerl lassen sie aufleben zur Zauberwelt des Urlaubs. Führen Sie uns dorthin! Mit Bölkstoff ins Rossini, in die Tofu-Tempel von Berlin-Schöneberg und das Freilichtmuseum Industrielandschaft Schönebeck an der Elbe mit „Mausi's Ecke“. Frankfurts heimliche Attraktion ist nicht der Römer oder das Museum für Moderne Kunst, die Zeil-Galerie oder der Flughafen, sondern der Erzeugermarkt am Samstag auf der Konstabler Wache.
Dort, verehrte Brüder und Schwestern im USP, erwarte ich Sie zu unserer nächsten Marketingkonferenz.
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