: Spiegelgefechte der Moderne
Körperpolitik, Schönheitswahn und die Auflösung der Geschlechterkonturen. Ein einleitender Essay ■ von Ute Scheub
„Acht Sonderseiten zum Thema Körperpolitik und Schönheit? Und das zum internationalen Frauentag? Ja, seid ihr denn des Wahnsinns?!“ schimpfte eine bayrische Leserin ins Telefon. Ja, sind wir. Schließlich treibt Schönheit Frauen wie Männer seit Jahrhunderten in den Wahnsinn – im negativen wie im positiven Sinne.
Körperpolitik ist schließlich die älteste Politikform überhaupt: Wer über die Körper anderer Menschen verfügte, über Leibeigene oder Frauen, besaß Macht. Daß heutzutage lieber indirekte, soziale Kontrolle der Leiber ausgeübt wird, ist nur eine Variante.
Aber es wäre Schwarzweißmalerei, zu behaupten, Schönheit sei nur eine miese Domestizierungsform des Patriarchats. Erstens sind Frauen die ersten, die noch die absurdesten und unbequemsten Moden begeistert umsetzen. Sie sind also nicht nur Opfer, sondern Mittäterinnen. Zweitens gibt es die ebenso archaische wie unausrottbare Lust auf Schönheit, auf Körper und Schminken, Schauen und Spielen, Inszenierungen und Verwandlungen. Die Zeiten, in denen Sack und Asche in der Frauenbewegung als schick galten, sind zum Glück vorbei. Die Uniformierung der menschlichen Körper ist in der gegebenen Häßlichkeit der Welt wahrhaftig keine gute Idee; sie hatte selbst im China der blauen Mao-Jacken auf Dauer keine Chance gegen die Macht des Eros.
Unter Körperpolitik kann man schließlich auch die Rhetorik, die Gestik und Mimik fassen, mit der sich Politikerinnen und vor allem Politiker Raum und Geltung verschaffen. Ungefähr 60 Prozent aller kommunikativen Botschaften, sagt die Berliner Politologin Gabriele Wilde, werden via Körpersprache auf der unterbewußten Ebene transportiert. Wer sich mit dieser Materie beschäftigt, dem wird klar, daß das „System Kohl“ auch auf dem Prinzip der genüßlich präsentierten Körperfülle beruht, das Väterlichkeit und Autorität signalisiert. Der realisiert plötzlich, warum ein großer und bulliger möglicher Kanzlerkandidat Gerhard Schröder mit seiner geradezu unverschämten Raumergreifung als „männlicher“ und damit als fähiger gilt als ein möglicher Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine. Der versteht endlich, warum eine Antje Vollmer ihr Heulsusenimage bei den Journalisten wohl niemals loswerden wird: Bedingt durch eine frühere Krankheit, wirkt ihre Stimme zu brüchig. Der bemerkt, daß von allen PDS-Abgeordneten immer nur zwei in den Bildausschnitt der Kameramänner genommen werden: Gregor Gysi, klar, und „Miß Bundestag“ Dagmar Enkelmann: blond, langmähnig, langbeinig wie Barbie.
Damit sind wir wieder mitten im Thema: dem Frauenkörper, jenem Ursprung allen Lebens und damit aller Politik. Der bedürftige Adam, vom Gebärneid zerfressen, sinnt auf eine Entmachtung Evas. Zu seinem Glück hat sein Kumpan, Gott genannt, gerade die himmlische Sphäre erobert. Sie entwerfen eine Umkehrung der biologischen Gesetze: Als Ursprung des Menschengeschlechts soll nicht länger Eva gelten, sondern Adam. Eva wird zum Rippchen erklärt, Adams Rippchen.
Adams Falschfleischdeklaration, das muß man ihm lassen, war verdammt geschickt. Seitdem gilt das männliche Subjekt als autonom, das weibliche als abhängig. Der Mann wurde zum Menschen schlechthin, zum Träger der Kultur, die Frau zur Natur, Fleisch pur. Im Mittelalter stritten sich die Gelehrten, ob Frauen überhaupt eine Seele haben können. „Cogito, ergo sum“, mit diesem philosophischen Diktum durchschnitt der Vordenker der technischen Naturbeherrschung und des Kapitalismus, René Descartes, alle Bindungen, alle Erinnerungen an Mütter, Frauen, an Menschen überhaupt.
Der autonome, der einsame Mann ist der Maßstab des Menschen, das Weib hingegen wird am Manne vermessen. Männlichkeit ruht in sich selbst, Weiblichkeit konstituiert sich erst durch den männlichen begehrenden Blick. Schlimmer noch: Indem größtmögliche Schönheit mit größtmöglicher Weiblichkeit gleichgesetzt wurde, war ein Mittel gefunden worden, den Frauen Selbstbewußtsein auszutreiben. Denn auf diese Weise wurde Weiblichkeit – im Gegensatz zu Männlichkeit – zu einem zwar in höchstem Maße erstrebenswerten, aber niemals erreichbaren Zustand. Und tatsächlich ist keine Frau der Welt wirklich zufrieden mit ihrem Körper. Irgendwo sind immer Dellen zu finden, Flecken, Falten, Pickel. Selbst Claudia Schiffer und Naomi Campbell heulen die Spalten der Frauenzeitschriften voll, ihr Po sei zu groß oder zu klein, ihr Haar zu glatt oder zu krusselig, ihre Nase zu dick oder zu dünn.
Dabei ist Schönheit schlicht undefinierbar, weil durch und durch relativ. Jede Epoche hatte ihre eigenen Schönheitsideale. Früher war irdische Schönheit untrennbar mit himmlischer Macht und Heiligkeit verbunden. Jeder Künstler, der Herrscherinnen wie Cleopatra als häßliche Hunteln dargestellt hätte, wäre sofort einen Kopf kürzer gemacht worden. Ein ähnliches Blasphemieverbot galt für Heilige wie Maria Magdalena, deren „schöne Hülle“ als Gefäß für die durchscheinende „schöne Seele“ gesehen wurde. Der moderne säkulare Leib, der schminkbare, pflegbare, kontrollierbare, schönheitsmäßig trimmbare Körper, entstand erst in der Neuzeit. „Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau“, flötete Friedrich Schiller, derweil Revolutionär Jean- Jacques Rousseau reaktionäre Verschen über die „natürliche Bestimmung des Weibes“ flocht. Das aufsteigende Bürgertum scheuchte die Frauen hinter den Herd, propagierte die romantische Liebe und schnürte die Damen ins Korsett. Die so jeder anderen Entfaltungsmöglichkeit Beraubten hatten von nun an Zeit, sich den ganzen Tag um ihre Schönheit sprich Heiratsfähigkeit zu kümmern.
Dieses Fesseln und Festzurren des weiblichen Geschlechts war und ist eine der beliebtesten Moden. In China wurden adligen Mädchen seit dem 12. Jahrhundert die Füße zu „Lotusfüßchen“ verkrüppelt. Bei bestimmten ostafrikanischen Stämmen wird der Hals heranwachsender Mädchen mit Metallringen derart in die Länge gezogen, daß die Abnahme der Ringe sofort mit Todesstrafe – Kopfabknicken – geahndet würde. In manchen Gegenden Afrikas und Brasiliens ist es heute noch Mode, die Unterlippen mit eingelegten Scheiben ins Gigantische zu vergrößern. All diese Moden hatten für die Männer den Vorteil, daß sie Frauen am Atmen, Laufen, Sprechen, kurz: an allen Formen der Selbständigkeit hinderten. Je unterdrückter die Frauen, desto rigider die Schönheitsideale.
Wie also können wir uns zu Erotik und Schönheitslust bekennen, ohne uns von den Schönheitsnormen terrorisieren zu lassen? Dazu gehört als erstes, jedem ins Wort zu fahren, der vom Narzißmus des weiblichen Geschlechts faselt. Der Blick einer Frau in den Spiegel ist nichts weniger als narzißtisch. Es ist ein prüfender Blick, und es ist ein männlicher: Die Augen, mit denen eine heterosexuelle Frau schaut, ob sie begehrenswert genug ist, sind die eines tief verinner
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lichten Mannes. Auch ihre Angst vor Häßlichkeit ist nicht Ausdruck einer prinzipiellen narzißtischen Störung des Weibes, wie der phallisch gestörte Sigmund Freud noch vermutete, sondern höchst rational: Wer schön ist, hatte im 19. Jahrhundert größere Chancen auf einen reichen Gatten und im 20. Jahrhundert auf beruflichen Aufstieg: Schönheit zahlt sich aus. Ob im Kindergarten, in Schule und Beruf und selbst auf der Anklagebank: Schöne Menschen kommen besser weg.
Zweitens gehört zur Liberalisierung der gängigen Schönheitsnormen die Abrüstung im Badezimmer. In den verzweifelten Spiegelgefechten einer Frau spiegelt sich die Struktur der ganzen Gesellschaft wider. Ihr Krieg gegen die Falten und Tränensäcke ist erbarmungslos, denn sie kämpft gegen den gesellschaftlichen Tod: das Übersehenwerden der älteren Frauen. Sie liefert sich ans Messer der Schönheitschirurgen, läßt sich das Fett aus den Oberschenkeln saugen, Po und Bauch wegschneiden, die Brüste aufblasen. Um das zu ändern, wäre eine gesellschaftliche Sehschule dringend nötig: die Wahrnehmung alter Menschen in ihrer Würde. Um das zu ändern, müßten Frauen und Freundinnen einen neuen weiblichen Blick füreinander entwickeln, der das kleine Männchen in ihnen, diesen nervigen Schönheitsrichter, diese stetig lamentierende Kontrollinstanz, arbeitslos macht.
Drittens gehört dazu das große Lachen. Das Lachen über all den absurden Tort, den wir uns antun. Größtmögliche Schönheit ist in Wahrheit größtmöglicher Durchschnitt! Karl Grammer, Humanethologe der Max-Planck-Gesellschaft München, berichtet von einer Testreihe aus dem Jahr 1990, bei der Männern Frauenfotos und Frauen Männerfotos vorgelegt wurden. Zunächst Einzelbilder, dann digital bearbeitete Porträtaufnahmen, auf denen viele Gesichter übereinander gelegt worden waren. Frauen wie Männer hielten die so erzeugten symmetrischen Durchschnittsgesichter für attraktiver als die Einzelbilder.
Lachen kann man auch darüber, wie Männer auf selbsterzeugte Bilder von Männlichkeit hereinfallen. „Untersuchungen haben gezeigt“, so besagter Biologist Grammer in seinem Buch „Die biologischen Gesetze der Partnerschaft“, „daß der militärische Rang, den Kadetten der amerikanischen Militärakademie Westpoint erreichen, aus der Breite ihres Kinnes beim Eintritt in die Akademie vorhergesagt werden kann.“
Viertens sollten wir nicht vergessen, unseren subversiven Kampf auch gegen die Globalisierung der Schönheit zu richten. Ein seltsamer Nebeneffekt der ökonomischen Globalisierung besteht in der weltweiten Normierung des Schönheitsideals: DIN-A-Europa. US-amerikanische Soap-operas mit ihren Ersatzteillagern an Aerobic-Körpern und Platinblondinen flimmern via Satelliten-TV selbst in nicaraguanischen oder südafrikanischen Bretterbuden. Plastikstars wie Michael Jackson, Tina Turner oder Cher, gebleicht, geliftet und versilikont, führen ihren ebenso rasse- wie alterslosen Körper vor, aus dem alle Spuren gelebten Lebens getilgt sind. Das bleibt nicht ohne Folgen: Schwarze Frauen weißen ihre Haut und entkrausen ihre Haare; Araberinnen lassen sich die Nasen verkleinern; Asiatinnen ihre Mandelaugen zu Rundaugen verunstalten.
In den 90er Jahren wurde der androgyne „Knabe mit Titten“ (Ebba Drolshagen) zur Idealfigur für Frauen erklärt: Hoher, fester, nicht zu großer Busen, schmaler Bauch, schmale Hüften, schmale Schenkel. Weltweite Folge: Wer nicht seiner Armut wegen hungert, hungert wegen seines Reichtums, versucht die Folgen genossener Mahlzeiten mit Diäten und Kuren zu eliminieren. So wie die ökologische Globalisierung Millionen von Pflanzen- und Tierarten ausrottet, so droht auch die kulturelle Globalisierung all die wunderbaren, originellen, unverwechselbaren Spielarten erotischer Körper auszurotten.
Und schließlich fünftens und letztens: Den Schönheitsterrorismus besiegen und die Erotik retten, das geht nur, wenn die Last der Schönheit auf beide Geschlechter verteilt wird. Jede Frau, die aktiv begehrt, jeder Mann, der sich schön macht und passiv hingibt, verdient den Friedensnobelpreis. Solche Menschen sind ein Kulturgewinn, denn sie erweitern den jahrhundertelang so eng gezogenen Spielraum des eigenen und des anderen Geschlechts. Wieviel Energie, Zeit und Geld wurden in der menschlichen Geschichte verschleudert, wie viele Kriege geführt, wieviel Unglück verursacht, nur um angeblich hundertprozentige Männlichkeit oder Weiblichkeit vorzuführen. Warum können wir nicht beides zugleich sein? fragen heute Drag Queens und Drag Kings, Homosexuelle, Transsexuelle und Heterosexuelle. Im Winter oder an ungeraden Tagen eher männlich, im Sommer oder an geraden Tagen eher weiblich? Mal so, mal so, mit viel Spiel im doppelten Sinne? Die Auflösung der genormten Geschlechterrollen hat zum Glück längst begonnen.
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