Erster Eurostreik beim Autobauer Renault

■ Arbeiter empört, jetzt finden die Regierungen Entlassungen auch schockierend

Paris (taz) – „Ein Patron, ein Kampf“, skandieren die 3.100 belgischen „Renaults“, seit der Konzern ihnen kurz und brutal mitgeteilt hat, er werde ihr Werk schließen. „Wir sind alle belgische Arbeiter“, skandierten gestern die „Renaults“ in den französischen und spanischen Werken, als sie eine Stunde lang die Arbeit aus Solidarität niederlegten.

Es war der erste „Eurostreik“ der Geschichte. Gewerkschafter aller politischen Richtungen hatten ihn gemeinsam organisiert, nachdem die Renault-Führung vor exakt einer Woche erklärt hatte, das seit über 70 Jahren funktionierende und gerade erst für 1,4 Milliarden Franc (zirka 400 Millionen Mark) modernisierte Werk in Vilvoorde bei Brüssel werde im Juli schließen. Wenige Tage später war bekanntgeworden, daß ebenfalls in diesem Jahr 2.700 Renault-Arbeitsplätze in Frankreich vernichtet werden sollen. Weitere Tausende Arbeitsplätze in dem Konzern, der heute noch 140.000 Menschen beschäftigt, sollen folgen.

Neben 20 Werken in Frankreich hat Renault eine Fabrik in Belgien, eine in Slowenien, vier in Spanien und zwei in Portugal. Die Gewerkschaften verlangen einen Entlassungsstopp, die Einführung der 35-Stunden-Woche, die Verrentung mit 55 Jahren und eine Neueinstellung pro Verrentung. An die Adresse der verbleibenden „Renaults“ gewandt, warnen sie davor, sich die Arbeit der belgischen Kollegen aufbürden zu lassen. Die Brutalität der Renault-Leitung hat nicht nur die Arbeiter in Belgien und Frankreich auf den Plan gerufen, sondern auch die Politiker zu Reaktionen gezwungen. Die belgische Regierung, die nach eigenem Bekunden vorab nicht einmal über die Massenentlassungen informiert worden war, will wegen Verletzung belgischer und europäischer Regeln vor Gericht ziehen. Spanien friert Subventionen für die Modernisierung eines Renault- Werkes ein. Und in Frankreich, wo die Regierung seit Januar über die Renault-Pläne informiert war und nichts daran auszusetzen hatte, zeigte sich in dieser Woche Präsident Jacques Chirac „von der Methode schockiert“.

Der Konzern Renault, der auch nach der Privatisierung zu 46 Prozent dem französischen Staat gehört, will an seinen Kahlschlagplänen festhalten, die er mit hohen Verlusten rechtfertigt. Ex-Mercedes-Chef Helmut Werner gratulierte dem Renault-Management zum Mut für notwenige Schritte.

Während die „Renaults“ gestern streikten, erfuhren ihre 96.000 Kollegen von Thomson Multimedia, daß ihnen ein ähnliches Schicksal bevorsteht. Die Leitung des französischen Staatsbetriebes kündigte weltweit Entlassungen von 8.000 bis 10.000 Arbeitern an. Der erste Eurostreik war sicher nicht der letzte. D. Hahn