Mit Zartbittermiene

■ Sven-Eric Bechtolf setzt auf zeitlose Psychologie und macht mit „Romeo und Julia“im Thalia einen ordentlichen Knicks

Die Schlange der Zwietracht sendet hier vorerst Äpfel der Versuchung. Julia zerschneidet ihn mit Mutter und Amme, Romeo spielt mit ihm im Gram um eine andere Frau. Da wissen beide noch nichts voneinander und probieren nicht die verbotene Frucht. Aber mit dem Messer, mit dem Julia schält, mit dem Mund, mit dem Romeo hätte zubeißen können, beenden sie schließlich ihr Leben.

Mit dieser schönen Metapher beginnt und endet Romeo und Julia in der Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf. Doch ob die Vertreibung aus dem Paradies des Streits ein besseres Paradies hinterläßt, darüber läßt Bechtolf die Zuschauer im Unklaren – eine pathetische Versöhnung zwischen Capulets und Montagues findet nicht statt. Und eigentlich muß man das auch nicht wissen, denn diese berühmteste Familienfehde aller Zeiten ist bei Bechtolf mehr dem übertriebenen, sportlichen Eifer aufbrausender Stutzer geschuldet. Eine notwendige Rahmenhandlung, die einigen jungen Schauspielern des Hauses unterhaltsame Enteiferungen erlaubt.

Romeo selbst, gespielt von Martin Feifel, erfüllt eher die grüblerische Melancholie eines Hamlet als die jugendliche Ausstülpung des Innersten. Aus seiner schönen Zartbittermiene läßt sich immer die Zukunft dieser Tragödie lesen. Und auch seine Angebetete kennt uferlose Schwärmerei nicht ohne ein Boot der Sorge. Alexandra Henkel, die aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen stets ihren Busen zeigen muß, hat sich in eine Julia vernarrt, der Glück ohne Zweifel nicht vorstellbar scheint. Ein Moment fassungsloser Liebe existiert nicht. Ave Eros, die Todgeweihten grüßen dich.

Sven-Eric Bechtolf, Flimms neuer Kronprinz, bedankt sich für das ihm entgegengebrachte Vertrauen mit einer ordentlich erzählten Inszenierung, die abstrakte Atmosphäre und zeitlose Psychologie auf die schmerzlose Art verschränkt, die man an diesem Hause so gerne hat. In einem leeren Verona der nackten Palisaden und des teuren Retro-Fummels (Bühne und Kostüme: Herr und Frau Glittenberg) ist Bechtolfs Anspruch, die Konzentration voll auf die Ewigkeit des Liebesdramas zu setzen und dieses von Modernisierungen – wie momentan erfolgreich im Kino sichtbar – frei zu halten, der fromme Kuß fürs bürgerliche Publikum. Bechtolf hält alles an Vorgaben ein, was Jürgen Flimm mit seinem Theater der letzten Jahre hier formuliert hat und erweist sich damit als jemand, der den Erfolg dieses Hauses klug durchkalkulieren kann. Kein Durst auf neue Taten herrscht hier komplementär zur Leidenschaft des Dargestellten. Dankbare Textarbeit, losgelöst von Herkunft, Dasein und Jugendwahnsinn, scheint die neue, anständige Sehnsucht des Sven-Eric Bechtolf zu sein.

Pardon, welches Jahr haben wir gerade?

Till Briegleb