Von Greenpeace gelernt

■ Die Schlacht der Bilder nahm einen anderen Verlauf als der Kampf um den Castor. Über mediale Deeskalation

Seit vergangener Woche ist der Katalog der Bildzeichen des politischen Protests um eine Ikone reicher: Den zweifelnden Polizisten. Zu dem, was vom Kampf um den Castor übrigbleiben wird, gehören mit hoher Wahrscheinlichkeit die Bilder junger Polizeibeamtinnen und -beamten, die den Kameras ihr mulmiges Gefühl bei dem Räumeinsatz anvertrauen. Die Erklärungen jener zu Menschen in Grün mutierten Elemente der Sicherheitsmaschinerie, man sei selbst gegen den Transport, sähe sich eigentlich auf der anderen Seite, sie tauchten im Ritual der Protest- Kriegsberichterstattung so massiv zum erstenmal auf.

Nicht der Protestler, jenes durch und durch romantische Wesen, das stets eins zu sein scheint in Körper, Rolle und Gewissen (was sich auch im Doppelsinn der Slogans spiegelt: „Wir stellen uns quer“) bestimmte mehr allein das Bild. Die Neuauflage eines Typus der Moderne dominierte – der des zerrissenen, zweifelnden, Gewissen und Gefühl zeigenden Menschen: der Polizist im Graben zwischen Gewissen und Rolle.

Nicht mehr der Konflikt zwischen Atomstaat und Bürgern war in jenen Interviewbildern das Thema, sondern ein anderer, ein innerer Konflikt: Die Differenz zwischen Funktion und den Funktionierenden. Um die Bilder geht es – die malträtierten Opfer des Polizeieinsatzes hatten von der tausendfach in die Welt transportierten Seelenqual der Polizisten freilich wenig. Die zahllosen persönlichen TV-Interviews mit Polizisten waren nicht Folge eines plötzlich aufkeimenden Medieninteresses, sondern Bestandteil des Einsatzkonzepts der Polizei.

Ausdrücklich waren die Beamten im Einsatzbefehl ermutigt worden, den Medien Auskünfte über ihre persönliche Situation zu geben. „Die geschickteste Public-Relation-Aktion, die die Polizei überhaupt machen konnte“, nennt NDR-Chefreporter Christoph Lütgert die ungewohnte Medienbetreuung, für die im Wendland ein Trupp von 60 Beamten im Einsatz war und die von anderen Polizeidirektionen aus der ganzen Republik interessiert studiert wurde. Nicht mehr Mauern war angesagt, sondern Tuchfühlung: Einsatztrupps karrten Journalisten zu neuralgischen Punkten und erfüllten emsig die Wünsche nach Kamerapräsenz bis in die Duschräume, als hätten sie von Greenpeace und Golfkriegsgeneral Norman Schwarzkopf zugleich gelernt.

Die neue Einsatz-PR, bestätigt Alfred Soetbeer vom „Einsatzbereich Öffentlichkeitsarbeit“ (!), habe „sicherlich auch taktische Bedeutung“ gehabt. Sie „verändert das Bild des gesamten Polizeieinsatzes“. Auch die Gewaltakte wurden von der Polizei ungewohnt schnell mitgeteilt. Dennoch, resümiert Soetbeer: „Härten sind sicherlich nicht so breit aufgemacht worden.“ In der WDR-Medienshow „Parlazzo“ berichtete Klaus-Dieter Tietz, der den PR- Einsatz leitete, wie es zu dem Konzept kam. In den zugeknöpften Jahren der Vergangenheit habe man erfahren: „Wenn wir die Informationen nicht geben, holen sie (die Medien, d.Red.) sie sich aus der anderen Richtung“ – nämlich bei den Protestlern. Tietz hat verstanden, wie die Fronten verlaufen: „Die Medien stehen uns mit Hundertschaften gegenüber“ – diesmal wurden sie umzingelt.

So werden nun nicht nur die Verletzten gezählt, sondern auch die Bilder. Und da kommen sowohl Alfred Soetbeer als auch Wolfgang Ehmke, der seit Jahren die Bürgerinitiativen-PR im Wendland macht, zu einem überraschend ähnlichen Ergebnis: Es sei, speziell in den Bildmedien, so differenziert berichtet worden wie noch nie. Und, sagen sie unisono, das eigene Anliegen sei aufgegangen. Während das PR-Ziel der BI war, den Widerstand als Teil der Bevölkerung zu zeigen, Differenz also zu tilgen, arbeitete die Polizei daran, Differenz zu schaffen, zwischen Polizist und Auftrag, und damit das Bild der Konfrontation zwischen Polizei und Bevölkerung zu vermeiden. Die Polizei hält den Kopf hin für eine verfehlte Politik, das ist ihr Bild, das möglicherweise haften bleibt. Wenn es geklappt hat, lenkten die Bilder den Verdruß der Bildnutzer von der Polizei weg und adressierten ihn dorthin, wo er hingehört – nach Bonn und Hannover. Aber sie spiegelten auch eine Facette politischen Bewußtseins, die immer wichtiger wird: Das zur Schau gestellte schlechte Gewissen, das Verantwortung ersetzt. Lutz Meier