Kein Arzt kann Abtreibungen zugeben

In Irland sorgt die unklare Rechtslage in der Debatte um die Abtreibung für neuen Wirbel. Die Regierung steckt bislang den Kopf in den Sand. Der Justiz aber platzt allmählich der Kragen  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Es ist das Thema, das die irischen Parteien am meisten fürchten: Abtreibung. Wie man es dreht und wendet – Stimmen lassen sich damit nicht gewinnen. Nun ist ausgerechnet im Wahljahr bekanntgeworden, daß eine Frau in einer Dubliner Klinik abgetrieben haben soll. Der Frau hat man Straffreiheit versprochen, wenn sie aussagt. Die Polizei durchsuchte die Marie Stopes Clinic und nahm ein paar Akten mit. Katholische Jugendorganisationen verlangen, daß der betreffende Arzt des Mordes angeklagt und die Privatklinik geschlossen wird.

Dabei ist die Rechtslage völlig unklar. So haben nun wieder heftige Diskussionen eingesetzt, Frauenorganisationen und Abtreibungsgegner demonstrierten in der Dubliner Innenstadt. Auf den Plakaten der einen stand: „Abtreibung: Der stille Holocaust.“ Die anderen skandierten: „Haltet eure Rosenkränze von unseren Eierstöcken fern.“ Im Englischen klingt das ungemein besser: „Keep your rosaries off our ovaries.“

Die Politiker haben diese Situation aufgrund ihrer Untätigkeit erst heraufbeschworen. Bis 1992 hatten sie Ruhe vor dem Thema: Die IrInnen hatten 1981 in einem Referendum das gesetzliche Abtreibungsverbot in die Verfassung aufgenommen. Doch so wasserdicht, wie alle glaubten, war der Paragraph nicht: Das höchste irische Gericht entschied vor vier Jahren, daß bei Lebensgefahr für die Schwangere eine Abtreibung zulässig sei. Das Urteil bezog sich auf den „Fall X“, der weltweit für Schlagzeilen gesorgt hatte: Einer 14jährigen, die nach einer Vergewaltigung schwanger geworden war, hatte ein Gericht in erster Instanz die Ausreise verboten, um eine Abtreibung in England zu verhindern.

Das höchstinstanzliche Urteil stürzte die Regierung in ein Dilemma, denn nun waren die Politiker gefordert. Der Richterspruch klärte nämlich weder, ob die Schwangerschaftsunterbrechungen in Irland vorgenommen werden dürfen, noch sagte er etwas über Fristen aus. Die Regierung versuchte, der Bevölkerung den Schwarzen Peter zuzuschieben, und veranstaltete ein neues Referendum. Darin sprachen sich die IrInnen zwar zugunsten der Reisefreiheit und des Rechts auf Informationen über Abtreibung aus, doch lehnten sie den Textvorschlag zur Kernfrage ab: Den selbsternannten Lebensschützern ging er zu weit, weil er die Legalisierung von Abtreibung bei akuter Lebensgefahr für die Schwangere vorsah, den Frauenorganisationen ging er nicht weit genug, weil Gesundheitsgefährdung als Abtreibungsgrund ausgeschlossen werden sollte.

Seitdem hat die Regierung den Kopf in den Sand gesteckt. Sie weigert sich, durch entsprechende Gesetze Klarheit zu schaffen. Man wolle das Parlament durch die zu erwartenden hitzigen Debatten nicht monatelang lahmlegen, so war zu hören. Selbst innerhalb der Parteien herrscht keine Einigkeit: Mehrere Abgeordnete aus Regierung und Opposition flogen aus der Fraktion, weil sie das inoffizielle Stillhalteabkommen gebrochen hatten. Vorige Woche platzte dem Richter Ronan Keane der Kragen. Er las der Regierung lauthals die Leviten, weil sie die Sache unter den Teppich gekehrt und statt dessen immer wieder die Justiz vorgeschickt hat. Der pensionierte erzkatholische Richter und Opus-dei-Angehörige Rory O'Hanlon meint, theoretisch sei Abtreibung in Irland wegen des Urteils von 1992 bis kurz vor der Geburt zulässig.

Kein Arzt würde freilich zugeben, eine Schwangerschaft unterbrochen zu haben, denn der konservative Ärzteverband hat für diesen Fall mit Ausschluß – also Berufsverbot – gedroht. So hört man nur hinter vorgehaltener Hand über eine Reihe von Kliniken, in denen angeblich abgetrieben werde. O'Hanlon will dem ein für alle Mal einen Riegel vorschieben: Er fordert ein neues Referendum mit einem allgemeinverständlichen Text: „Abtreibung ist in jedem Fall verboten.“ Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, wollen die Abtreibungsgegner im Wahlkampf jeden Kandidaten über seine Meinung zu einem solchen Referendum ausquetschen.