: Pickelfrei im Airbag
■ Die "Crash Kids" zeigen mal, wie groß der Abstand der ARD zur Realität inzwischen geworden ist (20.15 Uhr, ARD)
„Wild At Heart“, „Crash“ und „Kids“ – was die Kollegen aus Hollywood in jahrelanger Arbeit auf die Leinwand bringen, können wir schon lange, und zwar alles auf einmal! Vorspann läuft: gemeingefährliche Autofahrt, unterlegt mit ganz laut Techno. Zum Glück haben uns schon ungezählte Betroffenheitsreportagen erklärt, daß viele Jugendliche nur dann nicht die Orientierung verlieren, wenn sie mit geklauten Autos durch die Gegend heizen. Doch während diese jungen Menschen meistens uncool aussehen und dazu noch durch Brandenburgs öde Dörfer brettern, zeigt uns Autorin Petra Haffter, daß man kein Opfer der Wende sein muß, um Gefallen an verbotener Technik zu finden. „Crash Kids“ spielt im schnieken Hamburg, was den praktischen Nebeneffekt hat, daß alle Protagonisten trendy gekleidet, unalkoholisiert, akzent- und pickelfrei sind.
Schon am Anfang fragt man sich, ob man hier nicht Zuschauer der aufwendigsten verfilmten Bravo-Foto-Lovestory aller Zeiten ist: Laura (Isabell Gerschke) und Moni (Jenny Slawik) sitzen topgestylt in einer funky Bar und machen das, was Mädchen immer tun, tuscheln und kichern: „Küßt du mit oder ohne Zunge...?“ Herein kommt Nik (Marek Harloff), der „skrupellose Autoknacker und Carcrasher“, der alles, was ihm unter die Finger kommt, zu Klump fährt. Logisch, daß Laura da gleich schwach wird.
Die nächsten zwanzig Minuten knacken sie zusammen fröhlich Autos und fahren durch die Gegend. Die Musik wechselt zu Grunge, und erste scheue Küsse werden am Elbstrand ausgetauscht. Hier erfährt man auch, das Niks Mutter „immer besoffen“ war, so ganz wollte man auf den Sozialkitsch wohl doch nicht verzichten. Auch Laura hat für ihre frisch entdeckte Rebellion gute Gründe, die natürlich im Elternhaus zu finden sind. Ihre Mutter Ute (Barbara Rudnik) ist erfolgreiche Journalistin und also alleinerziehend. Sie hat für alles Verständnis und ist nie zu Hause.
Eigentlich wäre es spätestens jetzt an der Zeit, daß irgendeins der wilden Kids durch sinnlose Rivalitäten bei einem Crash ums Leben kommt und die anderen dann geschockt, aber geläutert ihres Weges gehen. Aber es gab wohl noch genug Geld für einen Auslandsdreh, weshalb die weitere Handlung ausgelagert wurde, nachdem in Hamburg ausreichend Unfälle gefilmt worden waren. In Südfrankreich macht es dann endlich zum erstenmal richtig bums oder, wie der Pressetext behauptet, verliert Laura „ihre Unschuld“, bei keuscher Kameraeinstellung auf junge, schweißnasse Stirnen. Die Strafe folgt auf dem Fuße. Nachdem ein paar rührige Franzosen um Handtaschen, Geld und Autos erleichtert worden sind, müssen die Haare abgeschnitten und gefärbt werden, bis Nik und Laura wie die ARD-Version von Sid und Nancy aussehen. Ziellos rockt man noch ein bißchen den Highway entlang, bis es zum finalen Crash kommt, wobei einer der beiden hopsgeht. Endstand: Sozialfall verliert gegen Bildungsbürgertum. Und die Moral von der Geschicht'? Mieten Sie sich eine Garage, oder Autofahren mit lauter Musik ist geil! Das wußten wir auch schon vorher. Heike Blümner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen