Enz-Shuttle ins Ökokaufhaus

Das erste Ökokaufhaus Europas wird natürlich ganzheitlich geplant  ■ Aus Bissingen Danile Weber

Ökoprodukte im Supermarkt – das ist nichts Neues. Ein von oben bis unten ökologisch konzipiertes Kaufhaus jedoch gibt es bislang weder in Deutschland noch in Europa. Möglicherweise wird die württembergische Kleinstadt Bietigheim-Bissingen an der Enz – zwischen Stuttgart und Heilbronn gelegen – dieses Novum bis Anfang nächsten Jahres präsentieren.

In der über 200 Jahre alten denkmalgeschützten Rommelmühle will das Team der „Archi Nova – Planen und Bauen GmbH“ ein ganzheitlich-ökologisches Dienstleistungszentrum schaffen, in dem Wohnen, Arbeiten und Kaufen verbunden werden kann.

Von den Wohnungen per Solar-Boot zur S-Bahn

Auf 6.500 Quadratmetern Verkaufsfläche wird in den drei unteren Etagen des ortsüberragenden Backsteingebäudes ein Shop-in- shop-Kaufhaus eingerichtet, in dem künftig jeder Wunsch „ökologisch“ erfüllt werden kann: Ökomöbel, Naturtextilien, Naturschuhe, Naturkost, ökologische Spiel- und Schreibwaren sind ebenso zu haben wie ein Besuch im Vollwert-Restaurant mit integrierter Ökohausbrauerei.

Daneben sind für die Silo-Anbauten der ehemaligen Getreidemühle Büroräume vorgesehen, das Verwaltungsgebäude wird zum Gesundheits- und Therapiezentrum, in dem die Dienste der alternativen Medizin angeboten werden. Im Obergeschoß der Mühle und in Neubauten auf dem 4,5 Hektar großen Gelände entsteht Wohnraum für mehr als 100 Menschen. Inklusive Co-Housing, Car- Sharing und hauseigenem Strom aus dem leistungsstarken Wasserkraftwerk. Zur fünf Kilometer entfernten S-Bahn-Station fährt ein Elektrobus. Wem das nicht romantisch genug ist, kann sich im Solar- Shuttle-Boot auf der Enz zum Ökozentrum schippern lassen.

Die Suche nach Investoren für das rund 35 Millionen Mark schwere Projekt läuft derzeit auf Hochtouren und übertrifft die Erwartungen der Archi Nova. Marketingleiter Hans Kahlau: „In den nächsten vier bis sechs Wochen werden alle Mietverträge für die Gewerbefläche abgeschlossen sein.“ Insgesamt zeigen sich die Ökokaufhaus-Gründer optimistisch in bezug auf den zu erwartenden Kundenstrom in die Provinzstadt an der Enz. Pro Tag wird mit 1.500 bis 2.000 BesucherInnen gerechnet. Geworben wird vor allem auch im 30 Kilometer entfernten Ballungsgebiet um die Schwabenmetropole Stuttgart. Zielgruppe sind neben einer ökologisch orientierten Kundschaft auch „konventionell Anspruchsvolle“. „Sonst wird es nicht funktionieren“, sagt der gelernte Kaufmann Hans Kahlau.

Mit der Rommelmühle startet das Team der Archi Nova ihr bislang größtes Projekt. Angefangen hatte es vor 13 Jahren, als Erhardt Wächter mit seinem Mit-Studenten Gerd Hansen am Küchentisch ihrer Wohngemeinschaft anfing, Baupläne mit ökologischem Federstrich zu zeichnen.

Heute sind die beiden Architekten Geschäftsführer der Archi Nova. Das Unternehmen, das inzwischen 30 bis 40 Leute beschäftigt, betreibt neben einem Planungsbüro auch einen Bio-Baumarkt im benachbarten Bönnigheim. Die „Archis“ konnten sich inzwischen durch die Entwicklung von Niedrigenergiehäusern, von denen vor allem das „Solar-Erdhügelhaus“ berühmt ist, bundesweit in der ökologischen Baubranche profilieren.

Für die Rommelmühle bekamen die Planer sogar das offizielle BUND-Logo auf den Werbeprospekt: Der BUND-Kreisverband Ludwigsburg ist mit Archi Nova bundesweit erstmals eine regionale Wirtschaftskooperation eingegangen und steht dem Projekt gegen Spendengelder mit ökologischem Rat zur Seite.

Kritik von der lokalen Ökoszene

In der lokalen Alternativ-Szene wird das künftige Ökoeinkaufsparadies indessen mit gemischten Gefühlen beäugt. „Am Anfang war ich begeistert“, meint die Betreiberin einer örtlichen Lederwerkstatt, „leider ist die Miete für uns jedoch zu hoch“. „Zu teuer“, meint auch der Inhaber des linken Buchladens „Ex libris“, der sich seit 12 Jahren in Bissingen halten kann. Helmut Keicher vom Bioladen „Mistelzweig“, der direkt am Rathaus und keine 150 Meter entfernt von der Rommelmühle liegt, sieht weniger im Preis, denn im Gesamtkonzept der Archi Nova ein Problem. „Ich habe das Gefühl, daß es bei dem Projekt hauptsächlich ums Geldverdienen geht“, sagt Keicher, der bereits einigen Interessenten-Treffen im Projektbüro der Rommelmühle beigewohnt hat. Die „mangelnde Gesprächsbereitschaft“ der Zentrumsplaner entsprach nicht den Vorstellungen des Alt-68ers, der sich selbst als „Öko der alten Generation“ bezeichnet. Er wolle sich nicht „von oben herab bestimmen lassen“ und am liebsten seinen eigenen Laden behalten. Tatsächlich aber winkt ihm mit dem Zentrum vor der Nase der finanzielle Ruin.

Die „Archis“ ihrerseits sehen in solchen Entwicklungen keinen Nebenwiderspruch zur ganzheitlichen Herangehensweise. „Bei uns darf jeder mitmachen“, sagt Erhardt Wächter, „natürlich können wir niemanden dazu zwingen“. Ökofundamentalisten, bei denen die persönliche Freiheit im Vordergrund steht, täten sich mit den „harten Geschäftsgebaren“ und professionellem Einsatz schwer, beides gehöre jedoch zu einem Projekt dieser Größenordnung dazu. Auch Marketingleiter Hans Kahlau redet mit Hinweis auf die „konventionelle Kundschaft“ Klartext: „Die Kundenfreundlichkeit ist oberstes Gebot, danach kommt die Ökologie – sonst können wir nach einem halben Jahr wieder zumachen“.