Nicht contra, sondern Prora

Die Konversion des Kolosses Prora auf Rügen ist beschlossene Sache. Im 40 Jahre lang als NVA-Kaserne genutzten Nazibau sollen Urlauber, Mieter und Gewerbebetreibende Einzug halten  ■ Aus Binz Anita Kugler

Urlaub wie am Fließband: So wollte es die Nazimassenorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) und ließ deshalb Prora bauen. 20.000 Arbeitsbienen gleichzeitig sollten in Rügen ihre „Nerven stärken und erhalten“. Im April 1938 begannen die Bauarbeiten, anderthalb Jahre später standen acht identische Wohnblöcke im Rohbau fertig am Strand, jeder sechs Stockwerke hoch und 500 Meter lang. Insgesamt waren 9.847 Zweibettzimmer geplant.

Das Projekt Prora stand für den Entwurf eines modernen Massentourismus, mehr aber auch nicht. Kein einziger KdF-Volksgenosse packte hier je seinen Koffer aus. Erst kam der Krieg, dann Stalingrad, dann der 8. Mai 1945 und endlich die Nationale Volksarmee. Diese sprengte drei der Wohnblocks, baute die restlichen fünf für ihre Bedürfnisse aus und nutzte die drei Millionen Quadratmeter große Liegenschaft bis 1990. Prora war bis zur deutschen Einigung Sperrgebiet, ein weißer Fleck auf allen Landkarten.

Heute gehört Prora dem Bundesfinanzministerium und steht unter Denkmalschutz. Nachdem der Versuch, ganz Prora an einen einzigen Investor zu verkaufen, an Planungsunsicherheit scheiterte, beauftragte die Oberfinanzdirektion im Mai 1996 die „Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung S.T.E.R.N.“ in Berlin mit einem Entwicklungskonzept. Das Team um den erfahrenden Architekten Hardt-Walther Hämer sollte Nutzungsoptionen erarbeiten und ihre Wirtschaftlichkeit durchrechnen. Für die Entscheidungsfindung wurde das sogenannte „diskursive Verfahren“ erfunden. In Foren und Werkstattgesprächen wurde diskutiert, bis ein Konsens gefunden war. Im Theatersaal von Prora wurden vorgestern die Ergebnisse der 156-Seiten-Studie vorgestellt. Die von S.T.E.R.N. gemeinsam mit Vertretern von Bund, Land, Kreis, der zuständigen Kommune Binz, Naturschützern und Denkmalpflegern erarbeiteten Grundsätze für Proras Entwicklung sind bindend. Ein Raumordnungsverfahren wird es nun nicht mehr geben, betonte Thomas de Maizière, Leiter der Schweriner Staatskanzlei.

Vom Tisch sind damit radikale Ideen wie der Total- oder Teilabriß, den der frühere Vizelandrat von Rügen, Udo Knapp, gefordert hatte. Wer Prora nutzen wolle, hatte er immer wieder gesagt, „tappe in die Falle des Alltagsfaschismus“. Demgegenüber beweist die opulent ausgestattete S.T.E.R.N.-Studie, daß die Architektur von Prora nicht genuin nationalsozialistisch, sondern der Neuen Sachlickeit verpflichtet ist und Ähnlichkeit mit zeitgenössischen Entwürfen von Le Corbusier und Erich Mendelsohn hat.

Endgültig vom Tisch ist damit auch der Rügener Kreistagsbeschluß von 1994, die gesamte Anlage unverändert und ungenutzt als „nationales Denkmal“ stehenzulassen. Die Landrätin von Rügen, Karin Timmel, lobte vorgestern noch einmal das diskursive Verfahren: „Der Runde Tisch stand allen Auffassungen offen und voreingenommen gegenüber.“ Heute ist sie eine der engagiertesten Verfechterinnen für ein neues Prora. „Prora für Rügen“ lautet die wichtigste Empfehlung des Teams um S.T.E.R.N. Das ist programmatisch gemeint. Die Bebauung soll erhalten bleiben, die Anlage vielseitig genutzt werden, und zwar als eigener Standort zwischen Binz und Saßnitz. Dort soll es künftig Einrichtungen geben, die bisher auf der ganzen Insel fehlten oder dringend gebraucht werden. Jugendherberge, Jugend- und Zwei-Sterne-Hotels, Sporteinrichtungen, ein Meerwasserschwimmbad, kulturelle Einrichtungen wie Museen und Galerien, ein Ostseezentrum, attraktiv für die skandinavischen Staaten, preisgünstige Ferienwohnungen und bezahlbare Mietwohnungen für modernisierungsgeschädigte Binzer Bürger. Mit einer gelenkten und kleinteiligen Entwicklung wollen Bund, Mecklenburg-Vorpommern und der Landkreis eine weitere „Versiegelung“ im ökologisch empfindlichen Rügen verhindern. „Mischnutzung“ heißt das Zauberwort für die Zukunft.

Kein einzelner Investor darf sich Prora unter den Nagel reißen, sondern viele Investoren sollen sich den Kuchen teilen. 500 Millionen Mark müßten investiert werden, damit diese Visionen für ein modernes Prora Wirklichkeit werden. Gleichzeitig wird es einen internationalen städtebaulichen Wettbewerb geben. Im Jahre 2000 soll sich Rügen mit Prora als Korrespondenzstandort der Expo 2000 profilieren können.