■ Die wütenden Bergarbeiterproteste vor seiner Tür empörten Kanzler Kohl. Unter diesem Druck mochte er mit der Gewerkschaft keine Kohlegespräche führen. Das verärgerte die Kumpel erst recht: Sie drangen in die Bannmeile vor.
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Die wütenden Bergarbeiterproteste vor seiner Tür empörten Kanzler Kohl. Unter diesem Druck mochte er mit der Gewerkschaft keine Kohlegespräche führen. Das verärgerte die Kumpel erst recht: Sie drangen in die Bannmeile vor.

„Schickt den Dicken doch mal her zu mir“

Alle Augen richten sich auf einen Kumpel, der sich bis zu einem Fenster im zweiten Stock der Bonner FDP-Zentrale hinaufgearbeitet hat. Da kommt die Nachricht: Bundeskanzler Helmut Kohl hat das Kohlegespräch auf Donnerstag verschoben. Ein wütendes Pfeifkonzert ist die Reaktion. Übertönt wird es noch von dem Mann am Fenster: „Schickt den Dicken mal her zu mir, hier rüber.“ Gelächter. Einige mögen nicht abwarten, ob Kohl der Aufforderung folgt. Sie ziehen selber in Richtung Regierungsviertel. Kollegen werden unruhig: „Bleibt aus der Bannmeile raus“, ruft einer durchs Megaphon. Er erntet Hohn. „Kannst ja dableiben, wenn du willst“, schreit ein anderer zurück.

Ein paar hundert Bergleute wollen es jetzt wissen. Die Bannmeile ist von der Polizei hermetisch abgeriegelt. Bisher trugen die Beamten Mützen als Kopfbedeckung. Nun plötzlich sind sie in Sekundenschnelle da: die Helme und die Schlagstöcke. Die ersten Absperrungen fallen. Aber es kommt nicht zu der von vielen Beobachtern erwarteten Auseinandersetzung zwischen Polizei und Demonstranten. Keiner Seite scheint an einer Eskalation gelegen zu sein.

Schon vorher zeigte sich die Polizei ungewöhnlich zurückhaltend. Seit Montag herrscht in der Stadt Verkehrschaos. Eine der größten Kreuzungen vor dem Regierungsviertel wird von den Bergleuten blockiert. Seit den frühen Morgenstunden waren gestern alle Autobahnen dicht. An die zehntausend Kumpel steckten noch im Stau, schätzt die Polizei um die Mittagszeit. Ebenso viele seien bereits vor Ort. Dennoch betont ein Polizeisprecher, daß von Blockade gar keine Rede sein könne. „Das ist von uns genehmigt als Demonstrationsort.“ Nein, schriftlich sei die Kundgebung nicht beantragt worden. „Wir können das auch mündlich entgegennehmen.“

Auch den Durchbruch in die Bannmeile nimmt die Polizei gelassen. Den Bergleuten liegt ebenfalls nichts an Gewalt: „Wir wollten nur zeigen: Wenn wir wollen, kommen wir rüber“, sagt Elektroingenieur Roland Elsper.

Hier, mitten im Regierungsviertel, soll nun die große Stunde der Kumpel sein – und dann wollen die Journalisten doch wieder nur Joschka Fischer sehen. Der Fraktionssprecher der Grünen hat sich zu ein paar Bergleuten auf die Straße gehockt. Beim Kampf der Kamerateams ums beste Bild drohen blaue Flecken. „Ja, zählt nur der hier?“ ruft ein Arbeiter empört. Ein anderer beschwert sich: „Das einzige, was die hören wollen, ist, was der labert.“

Aber auch Politiker haben es an diesem Tag nicht leicht, ihre Botschaft loszuwerden. Einige SPD-Abgeordnete suchen das Gespräch mit den Bergleuten. „Die Politiker lügen, daß sich die Balken biegen“, wird Peter Conradi entgegengehalten. Der bittet höflich darum, doch zwischen FDP und CDU auf der einen und SPD auf der anderen Seite zu unterscheiden. Keine Chance. „Passiert hier am Donnerstag nix, dann geht es richtig rund“, droht einer.

Und danach? Giesbert Thurmann aus der Zeche Niederberg bei Neukirchen-Vluyn ist 36 Jahre alt. „Ich hab schon in die Zeitung geschaut, aber da werden immer Jüngere gesucht.“ Und wohl auch Gesündere. „Wirbelsäule und Hüftbecken kaputt, rechte Seite verschlissen“, ist die Bilanz von 19 Jahren Arbeit als Bergmann. Bettina Gaus, Bonn