Mach dir 40 schöne Stunden!

Popcorn backen, putzen, Müll sortieren: Den Kinobeschäftigten droht Mehrarbeit. Anderswo gab's Warnstreiks, in Berlin fielen sie aus – obwohl die Lage hier keineswegs besser ist  ■ Von Alexander Musik

Grundvergütungen unter 2.000 Mark brutto monatlich, Nachtarbeit, 40-Stunden-Woche, drohende Zusammenfassung traditioneller Berufsgruppen wie KassiererInnen, EinlasserInnen, PlatzanweiserInnen zu „Servicepersonal“ – die 10.000 Beschäftigen an den 1.100 Kinostandorten Deutschlands zählen zu den schlechtestbezahlten Berufsgruppen überhaupt. Der zukünftige Kinobeschäftigte soll, geht es nach dem Willen des Hauptverbandes der Filmtheaterbetriebe (HdF), kassieren, einlassen, putzen, Popcorn herstellen, Müll sortieren – und nebenbei noch für eine korrekte Filmvorführung sorgen.

Bei den Tarifverhandlungen, die vorgestern in Frankfurt am Main wiederum nicht zu einem Abschluß gebracht werden konnten, konnte der Arbeitgeberruf nach dem Servicepersonal erst mal vom Tisch geräumt werden, sagte IG-Medien-Verhandlungsführer Manfred Moos gestern der taz.

Um auf die desolate Lage der Kinobeschäftigten aufmerksam zu machen, hat die IG Medien am vergangenen Wochenende zu Warnstreiks in den Kinos aufgerufen. Auch in Berlin. Insbesondere im UCI Zoo-Palast, einem der wenigen Berliner Kinocenter mit eigenem Betriebsrat, sollten die Angestellten dem Publikum ihren Unmut verkünden. Dazu kam es nicht. Der Grund: Nach der Berlinale sind die Verantwortlichen im Betriebsrat und der Angestelltenstamm erst mal in Urlaub gefahren. Mit Warnstreiks ist erst in zwei Wochen zu rechnen. Ein Kino-Gewerkschafter, der ungenannt bleiben will, versteht den Urlaubswunsch der Belegschaft: „Nach der Berlinale sind die einfach breit.“

Mit Aktionen sei aber in vierzehn Tagen zu rechnen, besonders bei UCI, möglicherweise auch in den Häusern der Kloster-Gruppe (Yorck, New Yorck, Olympia, Passage) und im Xenon. Der Ausfall ganzer Vorstellungen sei zu erwarten.

Daß sich die mager entlohnten Kinobeschäftigten in der Vergangenheit nie öffentlich über ihre Lage beklagt haben, obwohl die Kinos derzeit Rekordumsätze erzielen, liegt für den Gewerkschafter auf der Hand: Viel zu wenige seien gewerkschaftlich organisiert, die meisten seien froh, daß sie überhaupt einen Job hätten, darunter gebe es viele Studierende, die nach ein paar Monaten ohnehin wieder absprängen.

Dementsprechend zahm sind denn auch die Streikaktionen in anderen Regionen ausgefallen. Warnstreiks, melden die IG Medien, seien zwar am letzten Samstag in mehreren Multiplexen im norddeutschen Raum geplant, jedoch nicht immer in die Tat umgesetzt worden. Bei Cinemaxx-Betreiber Hans-Joachim Flebbe weiß man nichts über Streikaktionen. In Kiel hat es bloß bei drei Ufa-Filmtheatern Verzögerungen gegeben.

Manfred Bittmann, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbandes der Berliner Filmtheater, kann die Aufregung um die Tarifverhandlungen nicht so recht verstehen. Seit den fünfziger Jahren, so Bittmann, krepele die Kinobranche am Rande der wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit herum. 1,2 Milliarden Mark an Kinokarten würden jährlich bundesweit umgesetzt; schon das KaDeWe mache mehr Umsatz, vermutet Bittmann. Und: Bis 1992 hätten die Kinobetreiber mit sinkenden Besucherzahlen zu kämpfen gehabt. Danach hätten auch die Kinobeschäftigten von den Umsatzsteigerungen profitiert. Es habe Lohnerhöhungen gegeben, zum Teil sogar überdurchschnittliche. Weil die Tarifverträge viel zu lange nicht angepaßt wurden?

Gleichviel: Wenn es nach dem Willen der Kinobetreiber geht, müssen die Angestellten für die bislang angebotene einprozentige Lohnerhöhung Einbußen bei den Nachtzuschlägen in Kauf nehmen. Einen Rückzieher mußte die Gewerkschaft auch bei den sogenannten Ortsklassen machen. Demnach wird in Städten mit weniger als 100.000 Einwohnern auch weniger Gehalt gezahlt – bei gleicher Arbeit. Entscheidend ist der Standort des Kinos. Nun liegen Multiplexe oft knapp außerhalb der Stadtgrenzen von Großstädten. Folge: Die Kinobeschäftigten verdienen weniger, obwohl sie faktisch in einer Großstadt arbeiten.

Solche Sorgen hat man etwa im kollektiv organisierten Eiszeit- Kino oder im fsk nicht. Fernab vom Tarifvertrag arbeitet man – ohne Blick auf die Uhr und den Gehaltszettel. „Wir liegen deutlich unter den Löhnen im Tarifvertrag“, sagt ein fsk-Mitarbeiter. „Die sind froh, wenn sie überleben“, glaubt der Gewerkschafter.