■ „Die Bundesrepublik ist die größte Erfolgsstory der Nachkriegszeit“ – ein Interview mit Daniel Jonah Goldhagen
: „Man muß die Deutschen loben“

taz: Was war das beeindruckendste Erlebnis für Sie nach Erscheinen Ihres Buches „Hitlers willige Vollstrecker“?

Daniel Goldhagen: Viele gute Dinge sind passiert. Nach einem Vortrag sagte mir ein alter jüdischer Mann: „Auf dieses Buch habe ich 50 Jahre gewartet.“ Später sagte mir eine junge Deutsche: „Ich möchte, daß Sie wissen, daß Sie meiner Nation einen großen Dienst erwiesen haben.“

Im vergangenen Jahr haben Sie die Deutschen mit „Hitlers willige Vollstrecker“ vor den Kopf gestoßen. Nun loben Sie ihre beispielhafte demokratische Entwicklung. Verfolgen Sie damit eine pädagogische Absicht – nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche?

Ich habe in meinem Buch versucht, mit wissenschaftlicher Genauigkeit den Holocaust, vor allem die Motive der Täter, zu analysieren. Viele Leute stecken mich nun in eine Schublade. Sie erwarten von mir, daß ich das, was im Buch steht, auf die heutige Bundesrepublik übertrage. Dabei ist doch offensichtlich, daß sich hier eine echte Demokratie entwickelt hat. Das ist kein Widerspruch zu dem, was ich über die Vergangenheit geschrieben habe. Vielmehr war das richtige Verständnis der Geschichte das zentrale Moment für die Entwicklung der Bundesrepublik. Die Deutschen haben aus ihrer Geschichte gelernt. Ein Hitler, der heute von der Rolle des Blutes in der Menschheitsgeschichte schwadronierte, würde für verrückt erklärt.

Ist es nicht selbstverständlich, daß gerade die Deutschen sich mit ihrer Vergangenheit intensiver auseinandersetzen als andere?

Die Japaner haben während des Zweiten Weltkrieges ähnliche Verbrechen begangen wie die Deutschen. Japan hat seine Vergangenheit aber nicht annähernd so aufgearbeitet. Die Demokratie kam in Deutschland auch nicht plötzlich. Das war ein schwieriger Prozeß. Von zentraler Bedeutung war die 68er-Bewegung, die bewußte Auseinandersetzung der Kinder mit ihren Eltern und deren Vergangenheit. 1965 hatten viele noch kein rechtes Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der deutschen Demokratie. Mitte der 80er hat sich das völlig geändert. Die Geschichte der Bundesrepublik ist die größte Erfolgsstory der Nachkriegszeit. Sie zeigt, daß sich Gesellschaften neu erschaffen können.

Hat es mit der Mentalität der Deutschen zu tun, daß sich die Bundesrepublik zu einer, wie Sie sagen, vorbildlichen Demokratie entwickeln konnte?

Was ist Mentalität? Solche Kategorien verwende ich nicht. Es gibt nicht den charakteristischen Deutschen. Die Deutschen haben nach Hitler auch nicht einfach auf Demokratie umgeschaltet, weil es von außen jemand gesagt hat und sie folgsam genug waren. Entscheidend für die Demokratisierung war, was ich Internationalisierung nenne. Druck von außen, direkte Beteiligung Außenstehender haben zur Integration kritischer Perspektiven in die deutsche Nationalgeschichte geführt.

Ist dies ein Modell für fundamentale gesellschaftliche Veränderungen?

Ja, schauen Sie sich den amerikanischen Süden an. Noch 1960 unterstützte die große Mehrheit der Weißen die gesetzliche Rassentrennung. Und schon Anfang der 80er war sie dagegen. Was ist passiert? Es gab enormen Druck von außen, vom Norden, von Washington. Natürlich ist noch nicht alles wunderbar. Aber im Laufe einer Generation haben sich nicht nur Institutionen, sondern auch Einstellungen ändern lassen.

Geht die demokratische Entwicklung Deutschlands auch mit einem Rückgang von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einher?

Antisemitismus gibt es immer noch, aber er hat an Intensität verloren und ist weniger virulent. Niemand würde mehr auf die Idee kommen, Juden als Teufel in Menschengestalt zu bezeichnen. Natürlich gibt es auch noch Fremdenfeindlichkeit, etwa gegenüber Türken und anderen Minderheiten. Aber im großen und ganzen sind Juden und Ausländer Teil der deutschen Gesellschaft geworden. Jedenfalls habe ich keinerlei Befürchtungen, daß es in Deutschland zu einer antisemitischen Explosion kommen könnte. Was systematische Gewalt gegen Minderheiten angeht, ist Deutschland sicher eines der letzten Länder, an die wir dabei denken.

Schließen Sie in Ihr Lob Ostdeutschland mit ein?

Natürlich ist die Geschichte der DDR ganz anders verlaufen als in der Bundesrepublik. Nach dem Fall der Mauer war ein Lernprozeß erforderlich. Es war nicht einfach, so wie es in Westdeutschland in den 50ern nicht einfach war. Aber ich bin zuversichtlich, daß in der nächsten Generation die demokratische Orientierung sich nicht mehr von der in Westdeutschland unterscheiden wird.

Worin bestehen die Unterschiede genau?

Da muß ich passen. Ich habe den Prozeß in Ostdeutschland nicht genau genug verfolgt.

Und wie beurteilen Sie die Entwicklung Österreichs?

Oh, welche Länder wollen wir heute noch durchgehen? (lacht) Österreich hat eine demokratische Gesellschaft aufgebaut. Aber in Österreich hat es nicht diese Internationalisierung wie in Deutschland gegeben. Warum? Das mag an dem Mythos gelegen haben, daß die Österreicher die ersten Opfer des Nazismus waren. Weil sie nicht in derselben Weise wie die Deutschen verantwortlich für den Holocaust gemacht wurden, waren sie auch nicht dem gleichen internationalen Druck ausgesetzt.

In Ihrer Rede anläßlich der Verleihung des Demokratiepreises der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ empfehlen Sie anderen Ländern die Bundesrepublik als Vorbild. Was ist Ihre Botschaft an Deutschland?

Daß die Diskussion, die sich um mein Buch und auch um die Wehrmachtsausstellung entsponnen hat, eine gute Sache ist. Und daß es weiterhin einen kontinuierlichen Prozeß des Verstehens und der Diskussion über die Vergangenheit geben sollte.

Das klingt so unspektakulär, nach dem Trubel, den Sie mit Ihrem Buch verursacht haben.

Wie oft haben Sie das schon gehört, daß jemand die Deutschen für ihre demokratische Entwicklung so gelobt hat? Dieser Erfolg der Deutschen hat bisher nicht genügend Erwähnung gefunden. Natürlich besteht dabei immer die Gefahr, daß die Leute auf Lob selbstgefällig reagieren. Aber man muß die Wahrheit sagen. Ich hoffe, es wird für die Leute glaubwürdiger, das Lob zu akzeptieren, wenn es ausgerechnet von mir kommt. Interview: Markus Franz,

Damian Müller