Unsichere Versicherung

■ Antragsstau bei Pflegeversicherung: „Übergangsregelung ist reine Augenwischerei“ Von Andrea Hösch

Je näher der 1. April rückt, desto mehr wächst die Unsicherheit unter den rund 20.000 Pflegebedürftigen in Hamburg. Sie fürchten, mit der Einführung der Pflegeversicherung von einem Tag auf den anderen nicht mehr ausreichend versorgt zu werden. Beruhigungsversuche gibt es zuhauf. Einer fand gestern im Rathaus statt: In trauter Eintracht präsentierten die Sozialbehörde und die Pflegekassen eine Übergangsregelung und beteuerten, daß die ambulante Versorgung gesichert sei – trotz der Antragsflut.

Von 15.000 Anträgen sind erst 3000 beschieden. Alle anderen Pflegebedürftigen müssen voraussichtlich zwei bis drei Monate auf den Bescheid warten. Zügig sollen jetzt zunächst die pflegebedürftigen Sozialhilfeempfänger begutachtet werden. Denn die Sozialbehörde will die Kosten für die ambulante Pflege nur noch im Monat April übernehmen.

Wer vor dem Stichtag schon Pflegegeld bekommen hat, wird automatisch in die Pflegestufe II eingestuft und erhält sofort Leistungen. Für alle, die bisher weder Sozialhilfe noch Pflegegeld erhalten haben, gilt: Auch wenn das Gutachten noch aussteht, besteht rückwirkend zum 1. April ein Anspruch auf Leistungen. Dasselbe gilt auch für Anträge, die noch bis Ende Juni gestellt werden, und für Pflegebedürftige, die in eine höhere Pflegestufe aufgenommen werden wollen.

Kritische Einwände wurden kurzerhand auf andere „Schuldige“ abgewälzt, etwa die Frage: Man wußte doch, daß es in Hamburg so viele Pflegefälle gibt, wieso konnte es zu diesem Antragsstau kommen? Antwort: Der Großteil der Anträge sei erst sehr spät eingegangen. Außerdem habe Sozialminister Blüm bis vor kurzem nicht erlaubt, externe Gutachter zu beauftragen.

Ansonsten wurde die Eintracht nicht weiter gestört. Weder war die Rede von der Qualität der Pflege noch von den Problemen der Pflegedienste. Die waren nämlich nicht vertreten.

„Wir wissen beim besten Willen nicht, was wir den Pflegebedürftigen sagen sollen, wie's weitergeht. Jedenfalls ist diese Übergangsregelung reine Augenwischerei, denn die eigentlichen Probleme sind damit nicht vom Tisch“, erklärte der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Hamburg, Hartmut Sauer, auf Nachfrage der taz. Wichtigstes Problem sei die Vergütung. „Die Gutachten vermerken zwar, welche Hilfeleistungen jemand braucht, legen aber keine Zeitvorgaben fest. Für uns heißt das, daß wir gar nicht wissen, was wir letztlich abrechnen dürfen.“ Da Sauer eine bundeseinheitliche Vergütungsregelung für unwahrscheinlich hält, fordert er, dringlichst auf Landesebene zu verhandeln. Andernfalls stießen die Pflegedienste, zumal sie über keine großen Rücklagen verfügten, schon bald an Grenzen. Leidtragende wären die Pflegebedürftigen.

Daß noch viele Fragen offen bleiben, haben offensichtlich auch Sozialbehörde und Pflegekassen erkannt. Deshalb soll ab Mitte März ein Beratungstelefon in Sachen Pflegeversicherung eingerichtet werden (die Telefonnummer wird noch bekanntgegeben).