Waffen und Musen

■ Taslima Nasrin und Lea Rosh sprachen in den Hamburger Kammerspielen über den Terror des islamischen Fundamentalismus

„Nirgends wagt ein Schriftsteller so wenig, wenn er etwas sagt, wie bei uns.“ Diese Aussage von Heinz von Cramers gilt nicht für die Länder, in denen religiöser Fanatismus brutal auf dem Vormarsch ist. Die Folgen fundamentalistischer Unerbittlichkeit erfuhr die 33jährige Ärztin und Autorin Taslima Nasrin aus Bangladesh am eigenen Leib. Ihr Staat ist jünger als sie, erst 1971 wurde Bangladesh nach blutigem Bürgerkrieg selbstständig. Anfangs säkulär, ist dort seit 1988 der Islam Staatsreligion, und die Hindu-Minderheit sieht sich harter Repression ausgesetzt.

Taslima Nasrins jetzt auf deutsch vorliegendes Buch Scham handelt davon. Sein Erscheinen lieferte vor einem Jahr den Anlaß zu Verfolgung, Emigration und Fluch: Nasrin traf die lebensbedrohliche Fatwa, das unaufhebbare moslemische Todesurteil. Die Unbeugsamkeit und Entschiedenheit, mit der sie ihre Anklagen gegen das Regime in Bangladesh aufrechterhält, verdienen rückhaltlose Unterstützung. Diese Solidarität erschwert es jedoch, kritische Distanz zu ihrem Buch zu wahren, denn Nasrins Roman ist keiner.

Arrangiert wie in einer Versuchsanordnung, werden an den vier Mitgliedern der bengalischen Familie Datta Verhaltensmuster angesichts von Bedrohung und Diskriminierung durchgespielt. Im Mittelpunkt steht der Sohn Suranjan, dessen humanistische Ideale ihm angesichts von Terror und Repression abhanden kommen. Nachdem marodierende Jugendliche die elternliche Wohnung verwüstet und die Schwester entführt haben, fleht er den Vater an, nach Indien auszuwandern – seine Hoffnung auf ein demokratisches Bangladesh ist zerstoben.

Den Kunstanspruch, den die Bezeichnung „Roman“ reklamiert, löst Scham nicht ein. Die Handlung wirkt konstruiert, die Personen reden wie ein Polizeireport. Fakten ersticken die Fiktion, offenbar haben die Ereignisse Nasrins appellative statt ihrer poetischen Kraft mobilisiert, und sie weiß das auch: „Ich bin keine große Schriftstellerin“, sagte sie am Montag, als sie sich vor geladenem Publikum den Fragen der Journalistin Lea Rosh stellte. Rosh kündigte deshalb gleich an, es werde nicht um Literatur sondern um die Zustände in Bangladesh gehen. Und so erfuhr das Publikum, daß dort 85 Prozent Moslems und 15 Prozent Hindus leben: daß Nasrin einer moslemischen Familie entstammt, selbst aber Atheistin ist. Da der Koran weder Gerechtigkeit noch Gleichheit der Geschlechter biete, lehne sie ihn ab.

Sie habe ihr Buch geschrieben, um gerade als Angehörige der Mehrheit die Verfolgung einer Minderheit anzuklagen. Sie tut das beharrlich; doch der Funke springt nicht über. Zwischen Rosh und Nasrin findet nicht wirklich ein Dialog statt, vielmehr fragt die Journalistin Haltungen ab. Rosh fühlt sich angesichts der Fatwa an die Judenverfolgung in Deutschland erinnert – ein bemühter, mißglückter Vergleich. Was Nasrin beharrlich fordert, ist das Selbstbestimmungsrecht der Frau, die freie Religionsausübung, die Trennung von Staat und Religion. In Bangladesh hingegen werden Töchter nach der Geburt getötet, weil sie „nur“ Mädchen sind.

So ist die spürbare Fremdheit zwischen den beiden Frauen Ausdruck der Ungleichzeitigkeit von beider Realität und Bewußtsein. Wo Waffen sprechen, schweigen die Musen. Frauke Hamann