Wand und Boden
: Knacker mit Bier

■ Kunst in Berlin jetzt: Heinzmann, Haaning, Caoc/front*art/Unwahr

Zwei großformatige Wandbespannungen hängen in der Galerie neu: Wer möchte, kann sich dagegenwerfen oder ein bißchen an der Leinwand reiben. Außerdem lassen sich aufmontierte Stoffquader frei umarrangieren oder auch ganz abmontieren. Dann bleibt nur ein mit schwarzen, grauen und weißen Streifen übersätes Feld zurück. Überhaupt ist nichts mehr kompliziert an den Arbeiten von Thilo Heinzmann: Seine Malerei-Skulptur-Möbel-Module sind zu gleichen Teilen ein Angebot an pures Mondrian- Design und den verspielten Massengeschmack von Ikea. Das Ganze wird mit 12 bzw. 13 Ösen und stabilen 6-Zoll-Nägeln geliefert, damit man die Stücke je nach Geschmack schlaff oder straff hängen kann.

Offenbar hat der 1969 geborene Frankfurter Installationskünstler einiges über Gesamtkunstwerke bei Ambient- und Chill-out-Parties gelernt. Schon der Verzicht auf jede Farbigkeit bei der Herstellung seiner quadratischen Reliefs setzt entsprechend viel Mündigkeit und Gestaltungswillen beim Publikum voraus. Selbst die wenigen Kontraste der einzelnen Klettbandriemen ergeben sich lediglich aus ihrer Funktion, die angepinnten Kissen auf möglichst wenig Fläche zu verhaften. Eine Arbeit heißt „Panama“, weil es sich um eine dreifach genähte Leinwand mit demselben Namen handelt; die andere hat keinen Titel, weil den Galeristen der Titel „Louisiana“ nicht gefiel. Heinzmann macht sich die Kunst sehr leicht und damit anderen angenehm.

Bis 17.4., Do./Fr. 14–19, Sa. 12–16 Uhr, Charitéstraße 3

Letzte Woche war hier noch eine Galerie, nun hat Mehdi Chouakri ein Reisebüro eröffnet. Die Idee dazu kam vom dänischen Konzept-Künstler Jens Haaning. Er liebt undurchsichtige Marktsituationen: Für eine Ausstellung im niederländischen Ferienort Middelburg hatte Haaning im letzten Sommer eine türkische Textilmanufaktur in den örtlichen Kunstverein verlegen lassen, und bei einer Aktion in einem Osloer Museum ließ er norwegische Produkte unter Umgehung der hohen Steuern zum Discountpreis verkaufen. Knacker und Bier als Readymade am Museumscounter, im Katalog gab's statt Kunstfotos Wurstreklame.

Die Berliner Installation funktioniert ähnlich: Weil Kunst nicht unter die sonst übliche Besteuerung von 15 Prozent für Konsumgüter fällt, kann das von Haaning in die Galerie bestellte und überaus echte Reisebüro „Durchblick“ seine Touren dort um sieben Prozent billiger anbieten — soweit reicht der Kunstbonus. Dafür bekommt man dann ein Zertifikat, ein Kunstwerk gekauft zu haben. Wer reisen möchte, kann das Ticket natürlich auch einlösen, zerstört damit allerdings das Werk. Das klingt zwar alles sehr fluxistisch nach stetem Verschwinden, nach Aufhebung des schönen Scheins im Nutzen für das alltägliche Leben etc. Für Haaning liegt darin jedoch ein recht konkretes Bild des Künstlers in den globalisierten 90er Jahren verborgen: Stets auf Reisen, und doch ohne Geld.

Bis 19.4., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Gipsstraße 11

Mit den Party-Clubs rund um die Hackeschen Höfe zieht bereits die zweite Generation Off- Kunst durch Berlins Mitte. Dagegen dokumentiert die Ausstellung der Galerien Caoc – front*art – Unwahr im Kunstamt Kreuzberg den Aufbruch nach dem Mauerfall, als sich alternative Galerien in Prenzlauer Berg oder im Scheunenviertel ansiedelten. Der Idealismus war groß in der offenen Stadt: KünstlerInnen aus Polen, Italien oder Irland wurden für unkommerzielle, eher situationistische Kiezaktivitäten eingeladen. Die Galerie sollte mehr als nachbarschaftlicher Treffpunkt dienen – an einen Kunstmarkt wollte Anfang der neunziger Jahre in Berlin ohnehin niemand denken. Das ist vorbei: Mittlerweile mußten alle drei Projekträume wegen der hohen Mieten schließen, während sich professionelle Kunstanbieter überall in Mitte durchgesetzt haben. Nun soll im Rahmen der Ausstellung eben über die besagte Gentrifizierung von Berlin-Mitte diskutiert werden – am 24. März findet eine Veranstaltung zu „Innen-Stadt-Aktion“ und Verdrängungsprozessen in der City statt.

Seltsamerweise sieht man den Arbeiten der 15 KünstlerInnen, die für das Kunstamt ausgewählt wurden, den Bruch mit dem Mainstream gar nicht an. Die Siebdruckreihe „Haunted Woman“ von Katharina Wilczek verknüpft recht routiniert Farbfeldmalerei mit der Ironie eines Sigmar Polke; und Volker Wilczek setzt Masken und Götter auf seinen grünen „Striptychon“-Bildtafeln mit modernen Herrenanzügen in Kontrast, was vor allem sehr gelehrt wirkt. Eher schon sieht man den Dia- Leuchtkästen von Nauka G. Kirschner den Umgang mit Zeit an: Flüchtig wie aus einem Schattenreich wirken ihre vier Fotos von Bahnhöfen und Gassen aus Asien oder Amerika.

Die Arbeiten im Seitenflügel schmiegen sich schon sehr viel mehr der Techno-Szene an. Von DAG stammen zahllose Comics im Miró-Stil, Jens H. Engelhardt hat Industriedesign- Module per Laubsäge zu allerhand putzigen Objekten verwandelt, und die Klanginstallation von Frank Maibier und Andreas Winkler gibt elektronische Meditationsmusik von sich, wenn sie denn eingeschaltet ist. Ansonsten kann man auch einfach über ein paar hundert stumm ausgeschütteten Tannenzapfen grübeln.

Shane Cullens dezidiert politische Arbeit wirkt dagegen erstaunlich schwach: Er kommentiert den Nordirland-Konflikt mit malerisch verfremdeten Porno-Anzeigen, auf denen viel von Erlebniskultur die Rede ist. Daneben hängt ein Büchlein mit „Anweisungen, unter welchen Bedingungen in Nordirland das Feuer eröffnet werden darf“. In dieser Art Überbietung hebt sich jedoch auch der anklagende Gestus auf.

Bis 13.4., Di.–So. 12–18 Uhr, Mariannenplatz 2 Harald Fricke