piwik no script img

Machtspiel mit Geschichtspartikeln

■ Deutschsprachige Erstaufführung von Harold Pinters „Asche zu Asche“ in Basel

Harold Pinters große Zeit dauerte bis Mitte der 70er Jahre. Mit Stücken wie „Die Geburtstagsfeier“ oder „Der Liebhaber“ führte der englische Dramatiker die Tradition des absurden Theaters fort. Danach wurden seine Stücke das, was man „politisch“ nennt.

1984 etwa bezieht er mit „Noch einen Letzten“ Stellung gegen Folterregime wie die Türkei. Staatsterror war damals durchaus noch ein Thema für das Theater, Pinter selbst sagte in einem Interview von 1986 allerdings voraus, daß sich dies wohl ändern würde: „Es gibt einfach zuviel davon.“

In den letzten Jahren ist es um Harold Pinter recht still geworden. In Deutschland brachte ihn Peter Zadek erst vor zwei Jahren mit der deutschen Erstaufführung von „Mondlicht“ wieder ins Gedächtnis. Stück und Inszenierung taugten allerdings kaum zum Auftakt einer allgemeinen Pinter-Renaissance. Das scheint sich jetzt zu ändern, denn sein neuestes Stück, „Asche zu Asche“, wurde einen Tag nach der deutschsprachigen Erstaufführung in Basel auch gleich in der Hamburger Kampnagelfabrik und dem Berliner Maxim Gorki Theater inszeniert.

Von ungefähr kommt das nicht, denn Pinter ist mit seinem Frau- Mann-Dialog eine seltsam schwebende und kammerspielartige Menage à deux gelungen. Die Frau präsentiert immer wieder Erinnerungsfetzen aus ihrem früheren Leben. Offenbar war sie, die einst in einem Naziarbeitslager interniert war, die Geliebte des dortigen SS-Kommandanten. Im Gespräch mit ihrem derzeitigen Partner läßt sie ihre Geschichte, kaum angedeutet, allerdings stets wieder hinter einem Gazevorhang verschwinden. Ein Machtspiel, das ihren Partner irritiert und bedroht. Er versucht, ihr ihre Vergangenheitspartikel mit der Fragezange aus dem Gehirn zu reißen.

Damit kein Mißverständnis entsteht. Großes Welttheater ist das nicht, sondern eine Etüde des 67jährigen Pinter, die nicht mehr zu sein vorgibt, als sie ist: ein handliches Stück Theater. Was den Baslern offenbar zuwenig war. Also ist im Programmheft ein merkwürdig aufgeblähtes Gespräch zwischen dem selbst Stücke schreibenden Dramaturgen John von Düffel und dem Regisseur Peter Palitzsch abgedruckt. Darin stellt von Düffel etwa fest, Pinters Personen würden in eine Unkenntlichkeit hineingezogen, mit der er „an die Grenzen von Dramaturgie“ gehe, was Palitzsch so verblüfft haben mag, daß er prompt sagte, er glaube das auch.

Auf der Bühne allerdings bleibt Palitzsch bei seinen Leisten und inszenierte ein Stück Theater der ganz irdischen Art. Mit Rebecca und Devlin stehen sich zwei Figuren gegenüber, die sich schon lange kennen und frei zwischen ihren zum Teil nur angedeuteten Geschichten springen können. Zusammenhang entsteht durch die Summe der Geschichtspartikel wie von selbst.

Schauspielertheater, kurz und einleuchtend

„Asche zu Asche“ läßt sich, so sauber geschrieben, wie es ist, vom Blatt spielen, was Palitzsch auch in schnellen 50 Minuten macht. Vor allem Ulrich Gebauer als Devlin dankt es seinem Regisseur mit einer ziselierten Charakterstudie des Mannes mittleren Alters. Die Verweigerung der Frau, sich als kohärente Person mit einer klar situierten Geschichte zu erkennen zu geben, produziert bei ihm einen fast schon kindlichen Unsicherheitsreflex.

Solange sie ihre Geschichte verweigert, spielt Tanja von Oertzen die Überlegene, die naiv tut und besser damit zu leben scheint, die Vergangenheit in einem Nebel der Unwissenheit verschwinden zu lassen. Bietet sie ihm allerdings auch nur ein einziges konkretes Detail aus ihrer Erinnerung, kippt die Situation, wird er zum Überlegenen, der sie mit kurzen knappen Fragen in die Enge treibt. Ein Spiel, das in Basel als kurzes und scharf sitzendes Schauspielertheater präsentiert wird. Jürgen Berger

Harold Pinter: „Asche zu Asche“. Regie: Peter Palitzsch. Ausstattung: Herbert Kapplmüller. Mit: Tanja von Oertzen und Ulrich Gebauer. Theater Basel

Weitere Vorstellungen am 21., 24. und 26. März

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen