: Die „Körpermaschine“ – Ehrgeiz der Moderne
■ Auf welche Weise spiegelt sich der Mensch in seiner Maschine? Kate Meyer-Drawes Buch zum Mensch-Maschine-Verhältnis seit der frühen Neuzeit
„Mit Intuition werden wir die scheinbar unbeugsame Feindschaft besiegen, die unser menschliches Fleisch vom Metall der Motoren trennt. Nach dem Reich der Lebewesen beginnt das Reich der Maschinen. Wir bereiten die Schöpfung des mechanischen Menschen mit Ersatzteilen vor.“
Als Filippo Tommaso Marinetti 1912 der „passatistischen“, rückwärtsgewandten, reaktionären (Kunst-)Welt Italiens seine „futuristische“ Herausforderung ins Gesicht schleuderte, wußte er zwar noch nichts von den hybriden Phantasien aus den Gentech-Laboren unserer Tage, doch er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von der Anpassung des hoffnungslos „antiquierten“ Menschen an die technologischen Möglichkeiten der Moderne.
Daß der Mensch zum medizinischen „Ersatzteillager“ avancieren könnte, dessen Bestandteile beliebig zusammensetzbar sind, denkt der italienische Futurismus der Vorkriegszeit ebenso wie die Konstruktion von gigantischen Geistprothesen, die unabhängig von einem „fossilen“ Körper und seinen Beeinträchtigungen existieren können.
Was macht den Mensch zum Menschen? Was ist der Mensch außerhalb des in ihm steckenden „Quantums Maschine“ außerdem? In einer Zeit, wo die „Schnittstelle“ zwischen Mensch und Maschine immer unschärfer wird, wo unsere „Kommunikation“ mit dem „großen Bruder“ Computer wirklicher erscheint als der rituelle Morgengruß mit dem Nachbarn, wo uns die popularisierte Wissenschaft täglich suggeriert, den Menschen als „System“ zu betrachten, hat diese Frage etwas aufreizend Beruhigendes. Die Bochumer Erziehungswissenschaftlerin Kate Meyer-Drawe stellt sich dieser Herausforderung, indem sie gerade nicht den anthropologischen Sonderstatus des Menschen einklagt, sondern sie nähert sich von der Seite der (Denk)- Maschinen: Auf welche Weise, fragt sie, spiegelt sich der Mensch in seinen Maschinen, und welche Auskünfte geben diese Selbstentwürfe über den „technomorphen“ Charakter des Menschen?
Für die Griechen war das Mensch-Maschinen-Verhältnis noch ziemlich eindeutig und auch das christliche Mittelalter hatte an der letztlich unbegreiflichen Schöpfung Gottes wenig zu kritteln. Prekär wird die Situation, wie man sich denken kann, in der frühen Neuzeit, als der Mensch sich anschickte, dem göttlichen Schöpfer als Assistent zur Seite zu springen, um ihn am Ende zu übertreffen. Für die große Welt des Kosmos und die kleine des Körpers steht jetzt ein Erklärungsmodell zur Verfügung, das sich aus dem Vorbild der eben erfundenen mechanischen Uhr speist. Über der herabgewürdigten „Körpermaschine“ erstrahlt nun der „Geist“, der sich über die Materie aufschwingt. Nun ist allerdings ausgerechnet der Philosoph, der dem Denken mit der berühmten Formel „cogito ergo sum“ zu seinem Glanz verhilft, auch derjenige, der das Denken selbst unters Maschinenjoch treibt: Descartes' Bemühen um die systemische Regelhaftigkeit des Denkens markiert den neuzeitlichen Beginn der „Geistmaschine“.
Kein Wunder also, daß die emphatische Subjektphilosophie des 18. Jahrhunderts in die Bredouille gerät und sich unablässig mit dem Problem des Ichs, das eigentlich ein Nicht-Ich ist, auseinandersetzen muß. Statt Einheit und Identität, diese goldenen Kälber des bürgerlichen Zeitalters, so die philosophische Ahnung, stiftete gerade die Trennung, der Entzug der Einheit des Ich. „An diesem Menschen ist nicht sein Äußeres, sondern sein Inneres hinzugelogen“, bringt es Nietzsche schließlich zynisch auf den anthropologischen Kern. Daß die Menschen „Maschinen der Engel“ seien, brachte schließlich auch Poeten – von Kleist bis Jean Paul – in Wallung, und die Konkurrenz zwischen dem Menschen und seiner Maschine treibt einem neuen, dramatischen Kulminationspunkt zu: In dem Moment nämlich, wo das Denken selbst maschinenhaft wurde, so Meyer-Drawe, beginnt es, die Maschine außerhalb seiner selbst zu fürchten.
Der Ehrgeiz der Moderne besteht seither darin, den „authentischen“ Körper zu verabschieden, ihn, hygienisch „rein“ und „transparent“, zu einer Körpermaschine zu vervollkommnen. Selbst so scheinbar divergierende Wissenschaften wie der Behaviorismus und die Psychoanalyse treffen sich daran, das „Ich“ zu destruieren und die selbstregulativen Fähigkeiten des Menschen zu prononcieren. Im Computer schließlich wird die Selbstaufgabe des Menschen als Maschine universalisiert: Wir schließen uns an, aus und kurz, und am Ende schließt man uns weg.
Gemessen an den Fähigkeiten eines Computers sind wir, obwohl wir doch über beachtliche, im Zivilisationsprozeß eingeübte Maschineneigenschaften verfügen, vergeßlich, wehleidig und unberechenbar, schlicht: mangelhaft. Der Vorzug der vorzüglich geschriebenen, wenn auch nicht immer orginiellen „Erzählung“ ist es, daß ihre Autorin nicht in bequemen Kulturpessimismus verfällt, sondern die Frage nach dem Maßstab aufwirft und den Widerstand der „Materie“ selbst ins Spiel bringt. Der „kybernetische Traum vom Geist ohne Körper“ ist ein Alptraum. Marinetti hat dem Tribut geleistet, als er von der „Besessenheit der Materie“ sprach und den Schwierigkeiten, sie in einer „drahtlosen Phantasie“ zu domestizieren. Ulrike Baureithel
Kate Meyer-Drawe: „Menschen im Spiegel ihrer Maschinen“. Fink- Verlag, München 1996, 232 Seiten, 48 DM
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