■ El Salvador: Stimmengewinne für die frühere Guerilla: Lohn der Realpolitik
Die Befreiungsfront Farabundo Marti macht Geschichte. Fünf Jahre nach Ende des Bürgerkriegs wird die FMLN als Partei mehrheitsfähig. Mit der relativen Mehrheit in der künftigen Nationalversammlung und einem beeindruckenden Vormarsch in kleinen Landgemeinden und auch den Metropolen hat die ehemalige Guerilla nicht nur die Mühen der Anpassung an den politischen Alltag, sondern auch die Spaltung eindrucksvoll weggesteckt. Die sozialdemokratische Abspaltung unter Joaquin Villalobos, die mit der Regierung paktierte, um an der Macht mitnaschen zu können, wurde vom Wähler bestraft.
Die seit den Wahlen 1994 von der rechten Arena angewandte Taktik, der Wirtschaftssabotage der FMLN während des Krieges die alleinige Schuld an der Arbeitslosigkeit zuzuschieben, hat sich abgenutzt. Zu offensichtlich ist, daß das Wirtschaftswachstum nur einer kleinen Clique der in Arena organisierten Oligarchie zugute kommt, die sich bei der Privatisierung die Banken unter den Nagel gerissen hat und die vom Friedensabkommen vorgezeichneten Strukturreformen systematisch abblockt. Der aufgeheizte Wahlkampf zeigte, daß der Klassenkampf – trotz allem Gerede von Versöhnung – genauso heftig tobt wie vor 25 Jahren, als die Guerillabewegungen entstanden. Der brutale, tödliche Polizeieinsatz gegen Demonstranten hatte offenbart, daß die Herrschenden ihre Privilegien noch immer mit allen Mitteln verteidigen. Das hat wohl manche Unentschlossene veranlaßt, den Linken eine Chance zu geben.
Der Schock der Wahlen von 1994, der den ehemaligen Rebellen vor Augen führte, daß sie jahrelang ihrer eigenen Propaganda aufgesessen waren und nicht die proletarischen Massen, sondern kaum ein Viertel der Wähler hinter sich hatten, war offenbar heilsam. Die FMLN hat sich wieder mehr um die Basis gekümmert und konkrete Vorschläge gegen Teuerung, Arbeitslosigkeit und Gewaltkriminalität entworfen. Vor allem die Arbeit der Frauenorganisationen dürfte Früchte getragen haben.
Daß den Wahlsiegern, die nun in San Salvador ihre Alternative vorexerzieren können, in zwei Jahren automatisch auch die Präsidentschaft in den Schoß fallen wird, ist unwahrscheinlich. Jene 60 Prozent, die am Sonntag den Urnen fernblieben, sind unberechenbar. Und Umfragen zeigen zudem, daß 42 Prozent an ein politisches Gleichgewicht zwischen Regierung und Parlament glauben. Ralf Leonhard
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