■ Das Revier bleibt in Aufruhr. Nach den Bergarbeitern sind jetzt die Stahlwerker dran mit den wütenden Protesten: Der Krupp-Hoesch-Konzern will den größeren Hauptkonkurrenten Thyssen übernehmen. 10.000 Arbeitsplätze sind in Gefahr
: Krupp an

Das Revier bleibt in Aufruhr. Nach den Bergarbeitern sind jetzt die Stahlwerker dran mit den wütenden Protesten:

Der Krupp-Hoesch-Konzern will den größeren Hauptkonkurrenten Thyssen übernehmen. 10.000 Arbeitsplätze sind in Gefahr

Krupp an Thyssen: Helm ab zur Fusion

Gerhard Cromme kennt das gelb-glibbrige Bombardement schon. Wie zuvor in Rheinhausen und Dortmund mußte der oberste Chef des Krupp- Hoesch-Konzerns auch gestern in Essen hinter den Plastikschildern der Polizei Zuflucht suchen, um sich der gegen ihn geschleuderten Eier zu erwehren. Daß Cromme nach der Stillegung von Rheinhausen 1988 und der insgeheim eingefädelten Übernahme von Hoesch 1991 sich nun anschickt, auch den wesentlich größeren Thyssen- Konzern zu schlucken, bringt die Stahlarbeiter auf die Palme. Sein Versuch, den etwa 3.000 aus Duisburg, Bochum und Dortmund angereisten Stahlkochern die Fusion auch als ein Instrument „zur Erhaltung von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen“ zu verkaufen, geht in einem Pfeifkonzert unter.

Cromme hat seinen Beitrag kaum beendet, da suchen aufgebrachte Stahlarbeiter – „Wir haben dir was mitgebracht: Haß, Haß, Haß!“ – den Eingang der Essener Konzernzentrale zu stürmen. Letztendlich waren es Betriebsräte und Vertrauensleute aus fast allen Stahlstandorten, die die Leute beruhigten und so eine Auseinandersetzung mit der im Eingangsbereich postierten behelmten Polizei verhinderten. „Wir machen da weiter, wo die Bergleute aufgehört haben“, sagt Jan Kubilanski, der, ein bißchen abseits stehend, die Szene verfolgt. Wenn die Fusion komme, dann, so der Dortmunder Stahlwerker, „werden wir alle darunter leiden“. Man befürchtet im Falle einer Fusion die Schließung der ganzen Flüssigphase der Dortmunder Krupp-Hoesch-Stahlproduktion – vom Hochofen über das Stahlwerk bis zur Sinteranlage. 5.000 Arbeitplätze wären weg. Was die Thyssen-Beschäftigten von dem Deal befürchten, macht der Betriebsratsvorsitzende der Thyssen-Stahl AG, Dieter Kroll, am deutlichsten klar. Das Ziel der „feindlichen Übernahme“ sei es, den wirtschaftlich gesunden Thyssen-Konzern „aufzuteilen“. Danach werde der „Denver-Clan“ Thyssen „filetieren und ausschlachten“, denn anders sei das zum Kauf erforderliche Kapital gar nicht zu kriegen. Die von der FAZ auf vier Milliarden Mark geschätzten Thyssen-Immobilien ließen sich ebenso leicht versilbern wie die über drei Milliarden schwere Konzernbeteiligung an dem gewinnträchtigen Mobilfunkunternehmen E-plus, glauben Gewerkschafter. Während Cromme die kursierende Zahl von 30.000 fusionsbedingten Arbeitsplatzverlusten als „Panikmache“ abzutun sucht, erinnert Werner Naß, der frühere Hoesch-Betriebsratschef und heutige Vorsitzende der Arbeitnehmervertretung bei der Krupp-Hoesch Stahl AG, an die „feindliche Übernahme“ von Hoesch. Vor der Fusion im Dezember 1991 hatten die beiden Konzerne 102.000 Beschäftigte, heute sind es 68.000. „Auch wir sind damals vom Denver-Clan überrannt worden“, sagt Naß.

Neben den Protesten der Stahlkocher dürften Cromme vor allem die Kosten der Übernahme Sorgen machen: Das Kaufobjekt Thyssen macht immerhin 40 Milliarden Mark Umsatz. Der Aktienkurs ist seit Anfang des Jahres um mehr als ein Drittel auf fast 350 Mark gestiegen. Und 435 Mark bot Krupp gestern, um Aktienbesitzer zum Verkauf zu animieren. Da müßte Krupp-Hoesch für die Aktienmehrheit über sechs Milliarden locker machen. Neben den Einnahmen aus den stillen Reserven des doppelt so großen Konkurrenten würde Krupp-Hoesch allerdings auch immens Geld sparen. So hat der Aufsichtsrat der Krupp- Stahlsparte Anfang Februar Modernisierungen mit Gesamtkosten von 660 Millionen Mark in vier Jahren beschlossen. Damit soll Krupp bei der Rohstahlproduktion zu den Kostenführern im hartumkämpften Markt aufschließen. Einer dieser Kostenführer aber heißt – Thyssen AG. Deren Chef Dieter Vogel vermeldete stolz anläßlich der letzten Bilanz, daß sein Konzern eine Tonne Stahl mit nur drei Mannstunden Arbeit produziert. Logische Folge in einem Stahlkonzern Krupp-Thyssen- Hoesch: Ein Produkt wird nur noch in einer Hütte gefertigt, Modernisierungen an anderen Stahlwerken entfallen.

Ganz einfach wird es Cromme allerdings nicht haben. Krupp und Thyssen würden zusammen fast die Hälfte der deutschen Rohstahlproduktion von 40 Millionen Tonnen pro Jahr kontrollieren. Da treten die Kartellbehörden auf den Plan. Der Fall wird allerdings nicht beim Bundeskartellamt in Berlin verhandelt, sondern bei der Europäischen Kommission: „Bei Fusionen mit Umsätzen über fünf Milliarden Ecu müssen die 20 EU- Kommissare mit einer Mehrheit zustimmen“, so eine Sprecherin. Die Kommissare entscheiden nicht nur nach Wettbewerbskriterien, sondern auch nach politischen Fragen. Und da könnte ein gewisser Druck entstehen: Hinter der Fusion steht als Geldgeber immerhin die Deutsche Bank mit ihren hervorragenden Verbindungen in die deutsche Politik. Walter Jakobs/Reiner Metzger