Inland, nichts als Inland

Nach dem Ende des Kalten Krieges sind die Auslandskorrespondenten im US-Fernsehen zu einer recht gefährdeten Spezies geworden  ■ Von Andreas Rostek

Das Ende des Kalten Krieges hat eigenartige Verlierer hervorgebracht. Dazu gehört die Gilde der Auslandskorrespondenten, die für die US-Fernsehsender arbeiten. Die amerikanische ABC etwa widmete dem Thema Ausland im letzten Jahr nicht einmal mehr halb soviel Sendezeit in den Abendnachrichten wie 1989. Damals waren es genau 3.733 , im vergangenen Jahr nur noch 1.838 Minuten. Dabei bringt ABC in seiner halbstündigen Abendsendung von den drei großen US-Networks noch die meisten Nachrichten und Berichte aus dem Ausland.

Diesen Trend, der bei den anderen Sendern ebenso deutlich wird, beobachten manche in den USA mit Sorge. Etwa die ehrwürdige Zeitschrift Foreign Affairs, in der sich sonst Akademiker und Politiker Gedanken um Amerika und die Welt machen. Sie widmete dem Schrumpfungsprozeß im Nachrichtenwesen den ersten Beitrag ihrer jüngsten Nummer. Der Autor – Reporter Garrick Utley, früher bei NBC und ABC, jetzt für CNN im Einsatz – bietet dort weitere aufschlußreiche Zahlen: Demnach darf die Story aus dem Ausland heute höchstens eineinhalb Minuten dauern, früher waren es wenigstens zweieinhalb, nicht selten bis zu fünf Minuten. Auf der anderen Seite sind die Kosten für eine TV-Equipe unterwegs auf täglich 3.000 Dollar gestiegen, nicht gerechnet Flugtickets (bis zu 12.000 Dollar) und Leitungskosten für die Satelliten. Bis zu 50 Millionen Dollar im Jahr geben die Nachrichtenredaktionen der US-Networks für ihre Auslandsberichte aus – für Foreign Affairs „hohe Kosten, geringes Ergebnis“. Fatal sei vor allem, daß „die Produzenten und Verantwortlichen der Networks glauben, das Interesse des amerikanischen Massenpublikums an Tagesereignissen jenseits der Landesgrenzen nehme ab.“

Am meisten bekommen das die Korrespondenten zu spüren. Eine Erfahrung, so Garrick Utley, die sie mit Vertretern der Waffenindustrie teilen: Beide Produkte lassen sich nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr ohne weiteres verkaufen: „Solange Atomwaffen auf amerikanische Gemeinden zielten, bekam die persönliche Sicherheit eine internationale Dimension. Journalisten entdeckten schnell, daß sie ihren Redakteuren – so wie die ihrem Publikum – fast jede Story verkaufen konnten, die mit der sowjetischen oder kommunistischen Bedrohung zusammenhing, von Berlin über Vietnam nach Angola.“ Heute drohen nicht mehr fremde Interkontinentalraketen, sondern der Überfall an der Straßenecke und der Dealer von der Schule.

Ein Paradox, klagt der Korrespondent, „gerade jetzt, wo der globale Einfluß der USA neue Höhen erreicht“ und wo „der internationale Handel rund ein Viertel des US-Bruttoinlandsprodukts ausmacht.“ Dabei hatte das Fernsehen in den Jahrzehnten des Kalten Krieges, so glaubt der Autor, dem US-Zuschauer „wenn nicht mehr detaillierte Kenntnisse der Welt, so doch wenigstens eine größere Wahrnehmung dieser Welt gebracht“. Die Stärke des Fernsehens sei in dieser Sichtweise aber auch eher „die Vermittlung menschlicher Erfahrungen als Fakten, Analysen und Konzepte.“ In diesem Zusammenhang sagte der amerikanische Talk-Show-Star David Letterman unlängst dem Zeit-Magazin: „Die Sehnsucht der Europäer, die aus dem Fernsehen mehr als nur einen Rummelplatz machen möchten, halte ich für ehrenwert, aber ziemlich nutzlos.“

Bei mehreren hundert TV-Sendern, die sich den amerikanischen Markt teilen, werden aber auch „Fakten, Analysen und Konzepte“ zunehmend zu einem Spartenprogramm fü speziell Interessierte und nicht mehr für ein Massenpublikum, das von NBC, CBS und ABC angesprochen wird.

Die Kabel- und Satellitentechnik hat den Zugang zu den internationalen News leichter gemacht. Das Publikum kann sich jetzt direkt bei europäischen oder asiatischen TV-Sendern informieren. Was nötig ist, denn sogar die speziellen US-Nachrichtensender – wie CNN im Inland, MSNBC oder Fox News Channel – gehen mit Internationalem mittlerweile eher sparsam um.

Einen ganz neuen Markt sieht der Reporter Garrick Utley für sich und seine Kollegen in den Computer-Medien: Online-Dienste und Internet könnten das neue Arbeitsfeld abgeben für die Korrespondenten der Zukunft, wenn sie erst einmal mit „Full-motion-Video“ ausgestattet sind. „Sie werden fähig sein müssen zur interaktiven Kommunikation mit einem Publikum, dessen Mitglieder informierter, engagierter und anspruchsvoller sein werden als der passive Fernsehzuschauer von heute.“

Das werden recht wenige sein. Für das amerikanische Massenpublikum bleibt das Inland, nichts als Inland.