Wie von einem anderen Stern

Seit Mitte der 80er Jahre wird Gleichstellungspolitik betrieben – der Erfolg ist mäßig, die Quote gilt immer mehr als „out“. Eine ernüchternde Bilanz  ■ von Mechtild Jansen

Quote? „Die lehne ich total ab“, sagt Waltraud Reichardt, Unternehmerin des Jahres und Leitfigur von heute. Sie spricht durchaus stellvertretend für einen großen Teil der Öffentlichkeit, Frauen eingeschlossen: „Wenn eine Frau etwas kann, setzt sie sich allein durch.“ Und: „Die Frau, die keine Karriere macht, will es meist auch gar nicht, weil sie die Familie vorzieht.“ Solche Botschaften kommen heutzutage gut an, spätestens seit dem CDU-Parteitag, auf dem der Kampf um eine verbindliche Quote verlorenging. Gut zehn Jahre nach Beginn des heißen Streits erscheint die Quote fast wie eine Angelegenheit von einem anderen Stern und die Argumente wieder auf einem Stand, wo sie ihren kritischen Ausgang genommen hatten.

Mitte der 80er Jahre hatte die Frauenbewegung die Politik der Antidiskriminierung und Gleichstellung mit ihrem schärfsten Instrument, der Quote, entwickelt. Sie resultierte aus der Erfahrung, daß der Anteil der Frauen in Beruf und Politik stagnierte, all ihrer doppelten Arbeit und oft besseren Leistung zum Trotz, weil sich ihr Handeln an patriarchalen Strukturen brach. In Parlamenten, Parteien und Organisationen setzten die Frauen Quotierungen und Gleichstellungsgesetze, schließlich sogar eine Ergänzung des Grundgesetzes durch. Unter Berufung auf das Gleichberechtigungs- und Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes wurde der Staat verpflichtet, durch positive Maßnahmen tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter herzustellen.

Insbesondere an die Quote wurden höchste Erwartungen geknüpft, die heute größter Ernüchterung gewichen sind. Die aufgestiegenen Frauen, scheint es, betrieben oft inhaltlich und machtpolitisch kaum eine andere Politik als Männer. Angesichts der rassistischen Gewalt und des Sozialabbaus scheint es längst wichtigere Sorgen zu geben. Und ein Anliegen der Männer ist die Quote bis heute nicht geworden.

Wer die Ergebnisse der Gleichstellungspolitik bilanzieren will, muß zunächst feststellen, daß sie bislang allenfalls ansatzweise in einigen gesellschaftlichen Bereichen zum Zuge kam. In der Politik beschlossen nur die Parteien der Opposition verbindliche Quoten für Ämter und Mandate, das allerdings mit großem Erfolg. Die Grünen haben ihre 50-Prozent-Quote nahezu erfüllt und durchgehalten. Die Bundestagsfraktion ist heute zu 57 Prozent weiblich. Die SPD hat ihren Quotenplan, der 1998 mit 40 Prozent Frauen in Partei und Parlament enden soll, bislang ebenfalls überwiegend realisiert. Die PDS hat im Bundestag 43 Prozent Frauen, ansonsten sehr unterschiedliche Frauenanteile und Quoten. Die CDU hingegen will nur unverbindlich möglichst ein Drittel der Plätze mit Frauen besetzen.

In allen Parteien zeigen sich zugleich ähnliche Schwächen: Der Druck zur Erfüllung der Quote läßt nach, es gibt mehr und mehr Verstöße. Kommunal, im Osten und in Traditionsregionen wird die Quote häufig noch nicht erfüllt. Die Frauen finden sich nach wie vor in den klassischen weiblichen Sektoren, in Stellvertreterfunktionen und als Moderatorinnen, kaum aber als Meinungsmacherinnen oder auf den klassischen männlichen Feldern. Die Rahmenbedingungen der Politik benachteiligen Frauen unverändert. Die Spitzenpositionen sind weiterhin fast uneingeschränkt in Männerhand. Ausnahme: die Parteispitze der Grünen und die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin.

Auf der staatlichen Ebene ist mit den Bundes- und Landesministerien, den kommunalen Frauenbeauftragten und den Frauenförderplänen im öffentlichen Dienst eine mittlerweile flächendeckende Struktur entstanden. Doch deren Reichweite ist begrenzt, die Machtbefugnisse ihrer Trägerinnen gering. Ein allgemeines Diskriminierungsverbot, bevorzugte Einstellungen bei gleicher Qualifikation auf der Basis von Einzelfallprüfungen (im Bundesgesetz nur als Empfehlung), Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, insbesondere der Schutz vor Benachteiligung durch Teilzeitarbeit oder unter Umständen die Anrechnung von Qualifikationen aus Familientätigkeiten – das sind ihre insgesamt doch bescheidenen Möglichkeiten. Dennoch sind einige positive Ergebnisse nicht von der Hand zu weisen: Das Selbstbewußtsein von Frauen wurde gestärkt, sie haben sich zu mehr Bewerbungen, auch auf Führungspositionen, und offensivem Verhalten motivieren lassen (siehe auch Kasten). In vielen Verwaltungen wurde mittlerweile ein differenziertes Förderungssystem als Bestandteil des allgemeinen Personalmanagements oder auch der Verwaltungsreform entwickelt. Erstmalig steigt der Anteil von Frauen auch in Krisenzeiten an, in denen sie sonst immer Rückschläge hinnehmen mußten.

Die Wirkungen dieser Maßnahmen ändern allerdings nichts an den strukturellen Defiziten oder patriarchalen Privilegien. Das beginnt schon bei den Bewertungskriterien von Qualifikation und endet noch nicht dabei, daß fast ausschließlich Frauen teilzeitarbeiten und sich in unteren Lohn- und Statusgruppen häufen. Alle Appelle an Männer, das Aufziehen von Kindern anteilig mitzuübernehmen, blieben ungehört.

In der freien Wirtschaft blieb Frauenförderung eine freiwillige Sache großer Konzerne, die sich das leisten konnten. Weil es auch ihren Profitinteressen entsprach, ihre gut qualifizierten Mitarbeiterinnen zu halten, wurde durch neue Arbeitszeitmodelle und Eingliederungsmaßnahmen während oder nach Kindererziehungszeiten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert. Die Zahlen der beschäftigten Frauen stieg oft beachtlich an, manch eine ausgesprochene Männerdomäne wurde von ihnen erobert.

Aber: So schnell Frauen gewannen, so schnell verloren sie wieder, als der Arbeitsplatzabbau begann. Bis heute kennt die Wirtschaft kein Geschlecht, wenn es darum geht, bei Bedarf die Leistungseliten abzuschöpfen und den Konkurrenzkampf anzuheizen. Ihr Einfluß auf die Entsolidarisierung unter Frauen und die Ideologie vom Vorrecht des oder auch der Stärkeren ist ungebrochen. Aus dem Bild der emanzipierten Frau formte sie die Karrierefrau, die unter der Hand zur Antifeministin wurde.

Zu den größten Schwächen der beruflichen Gleichstellungspolitik gehörte von Anfang an, daß sie die Wirtschaft nicht auf die Gleichstellung der Geschlechter zu verpflichten vermochte. Erst in der jüngeren Zeit versuchte beispielsweise Nordrhein-Westfalen, die Vergabe von Subventionen an Frauenförderung zu binden.

Je verbindlicher und politischer die Quoten- und Gleichstellungspolitik angelegt war, desto erfolgreicher war sie zumindest quantitativ. Wo sie eng an bestehende Strukturen und Institutionen angebunden ist, ist das Tempo des Fortschritts eher das einer Schnecke, dafür wirkt er stärker in der Breite. Auf dem freien Markt geht es nicht um Herrschaftsabbau und Demokratie, sondern um Gewinn und Sieg. Frauen haben dort freilich die Chance, traditionelle Grenzen im Zweifel am schnellsten über den Haufen zu rennen.

Die qualitative Bilanz ist ähnlich differenziert und in vieler Hinsicht schwer zu bemessen. Das weibliche Können ist unzweifelhaft unter Beweis gestellt. Die Sichtweisen auf Frauen und Männer, ihre Arbeit und gesellschaftlichen Beziehungen, haben sich sehr gewandelt, wenngleich diese selbstverständlich pluraler denn je sind. Auch die Beziehungen unter Frauen haben sich verändert. Die Konkurrenz mit ihrer produktiven und auch mit ihrer destruktiven Seite hat sich verstärkt. Frauen haben sich in erstaunlich vielen nützlichen Netzwerken zusammengeschlossen und zu männlichen Seilschaften ein Gegengewicht gebildet. Aber auch eine kritische und selbstkritische Solidarität und gegenseitige Bestärkung ist gereift, ohne daß sie deshalb von allen geteilt würde.

Inwieweit die Ergebnisse weiblicher Arbeit und weiblicher Politik anders und den Aufgaben von heute angemessener sind, steht dahin. Daß Frauen ihre Macht für etwas Besseres als Männer einsetzen müssen, wäre allerdings auch eine Voraussetzung, die Frauen schnell wieder aus Demokratie und Gerechtigkeit herauskatapultieren könnte. Allenfalls sind die Verhältnisse insgesamt erträglicher geworden.

Die Kraft der Frauenbewegung richtete sich zunächst darauf, neue Rechte durchzusetzen und die eroberten Plätze zu behaupten. Auch die eigene Karriere zu verteidigen kostet Energie in einer Zeit verschärfter Konkurrenz, in der die „Quotenfrau“ belächelt und stigmatisiert wird. Zudem fanden jüngere Frauen bessere Ausgangsbedingungen vor, der Zeitgeist wollte keine wesentlichen Geschlechterprobleme mehr sehen, niemand wollte sich mit den alten Kämpfen noch belasten. So darf es nicht verwundern, daß begrenzte Instrumente unter verschlechterten Bedingungen zu einer Formalisierung der Gleichstellungspolitik oder bloßem Machtgerangel führten. Für neue politische Inhalte und bessere Beziehungen der Frauen untereinander fehlte die Kapazität.

Die Quoten- und Gleichstellungspolitik der letzten Dekade hatte von Anfang an innere konzeptionelle Grenzen, gleichzeitig stieß sie auf zunehmend engere äußere Grenzen. Sie war auch in ihrem Ursprung immer als Selbstzweck und als Instrument eines gesamtgesellchaftlichen Veränderungsprozesses konzipiert, als Teil und Maß eines neuen Inhalts von Gleichheit. Mit ihr wurde ein „Überschuß“ von qualifizierten und selbstbewußten Frauen gesellschaftlich integriert. Sie konnte aber weder neuen Druck von unten schaffen noch gesellschaftliche Basisstrukturen wirksam reformieren. Die Gleichstellungspolitik beschränkte sich – auf der Folie patriarchaler Kernstrukturen in Arbeit, Lebensformen und Machtverhältnissen – auf Diskriminierungsverbote und auf kompensatorische Maßnahmen auf seiten der Frauen. Sie schuf keine strukturell neuen Wege für Männer und setzte keine neuen allgemeinen Regeln durch – ganz abgesehen vom aktiven oder passiven Widerstand vieler Männer gegen ihr Bißchen an Geltung.

In der Krise, als Arbeitsplätze abgebaut und Finanzmittel eingespart wurden, konnte diese Politik immer weniger greifen. Mehr und mehr wird sie allein für Modernisierungsprozesse instrumentalisiert. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das in den sogenannten festen Ergebnis-Quoten wie im Bundesland Bremen eine Diskriminierung des Mannes sah, markierte einen politischen Rückschlag: Die Bedingungen der Gleichheit der Geschlechter sollten weiterhin patriarchal definiert bleiben. Wenn aber genau diese traditionellen patriarchalen Arbeits- und Lebensverhältnisse gegenwärtig in eine immer tiefere grundlegende Krise rutschen, welchen Sinn soll es da machen, die Frauen ihnen auch noch weiter anzupassen? Nachdem der CDU mit der deutschen Einheit die erstrebte politische „Wende“ mit dem Rückenwind aus dem Osten endlich gelang, standen obendrein Zeitgeist und gesellschaftliches Bewußtsein gegen emanzipatorische und egalitäre Politik.

Auch die Frauen schafften es nicht, neue Alternativen zu konturieren. So blieb die Gleichstellungspolitik in den neuen „Frauenstrukturen“ stecken, wenn sie dort nicht gar absichtsvoll endgelagert wurde, um die ursprünglich avisierte gesellschaftliche Umgestaltung ausfallen zu lassen. Weil die Gleichstellungspolitik nicht mehr aufs Ganze geht, hat sie ihre innovative Kraft verloren. Das Modell der bloßen Teilhabe am Bisherigen ist definitiv passé. Der Anspruch, den die Quote verkörpert, zwischen den Geschlechtern halbe-halbe zu teilen und gleiche Menschenrechte für alle zu verwirklichen, macht nur Sinn, wenn über neue Modelle der bezahlten und unbezahlten Arbeit, des Sozialstaates, der gerechteren Reichtumsverteilung, andere Lebensformen und fürsorgliche Beziehungen nachgedacht wird. Eine Gleichstellungspolitik allerdings, die sich auf ein gleiches Minimum an Arbeit, Geld, Bildung, Zeit und Macht für jede Bürgerin und jeden Bürger bezieht, hätte Zukunft.