■ Nachschlag
: Tankkultur? Eine Diskussion in der Galerie am Scheunenviertel

„Sezierfähig“ nennt Christian Hirte, Archäologe und Dozent an der Humboldt-Uni, die großformatigen Farbfotos Ansgar Kochs. Abgenudelte Tankstellen, die „als Zombies verfallen“ (Hirte) sind da zu sehen, aufgenommen ohne jede Verklärung (vgl. taz vom 18.3.). Zur Finissage am Mittwoch in der Galerie am Scheunenviertel kamen mehr als ein Dutzend Interessierte, doch leider nicht der Semiotik-Professor, der zum Thema „Umstellt – Verkehrslandschaft als Zeichenraum“ sprechen sollte. Ersatzweise schwärmte Hirte daher von „Tankkultur“, einem verschwundenen Phänomen.

Um Stadtmöblierung von der Stange, Einschnürung des öffentlichen Raums durch einen Zeichendschungel aus Ver- und Gebotsschildern, Poller, Blumenkübel und was das Arsenal der Stadtplaner noch bereithält, ging es denn auch nur am Rande. Dafür um die Dienstleistungsgesellschaft und ob wir sie verdient haben. Ein Redner (die Männer stellten Fragen, die Frauen hörten zu – tanken ist Männersache) läutete in kühnen historischen Sprüngen schon den Untergang derselben ein. Früher fuhr man vor einem Herrenhaus vor, dann in einer Tankstelle, jetzt bei McDonald's Drive In. Und: Als Tankkultur noch kein leerer Wahn war, sei ein Dienstmann (Tankwart) herausgeeilt; heute habe man selbst den Weg zur Kasse anzutreten, die Nummer der Zapfsäule memorierend. „Damals war's besser“, hörte man schon in der Runde, da kam einer häretisch: Der Konsument sei gar nicht bereit, den Preis für mehr Dienstleistung zu zahlen. Zur Strafe gibt's SB-Tanken.

Einem anderen fiel auf, wieviel öffentlicher Raum beansprucht werde, damit wir überleben können: unübersehbar und penetrant, die zeitgenössischen Zapfsäulenhallen mit angeschlossener Waschstraße nebst Minimarkt. Die müsse man vom Hubschrauber aus fotografieren, meinte einer. Und verfallende Minol-Tanken, unter deren rostigen Dächern heute mitunter Kartoffeln, Getränke oder Döner Kebab vertickt werden, muß man gar nicht ablichten. Das bekamen Koch und Hirte zu hören, als sie im Osten die Kamera auf die maroden Bauten richteten. Sind die Fotos nun kritisch oder nicht? Können sie es, wo doch farbig, überhaupt sein? Da war man sich nicht einig. Minol (heute elf/Aquitaine) jedenfalls habe man die Bilder auch angeboten, sagt Hirte. Mit 50.000 Mark wollte der Konzern die Fotos erst fördern. Dann lud der Minol-Mann Hirte doch nur zum chinesischen Essen ein und sorgte sich: Sind Sie auch satt geworden? Alexander Musik