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Mach's dir selbst, dann macht's dir San Pedro

■ Die Grasplantage auf dem Fensterbrett boomt, der Trend schlägt Wellen: Ethnobotanik, die Kunde der magischen Pilze, Kakteen und Kräuter, profitiert von der Lust auf den Bio-Kick

„Die Lust auf Kicks, die im eigenen Schlafzimmer gewachsen sind, ist enorm gestiegen. Die Self- Grow-Geschichte boomt“, sagt Martin Veigel, Inhaber von „Tiefenrausch“, dem „Versand für ethnobotanische Kostbarkeiten“ aus Osnabrück. Aber nicht nur Cannabis wird zunehmend zu Hause in den eigenen vier Wänden produziert, auch die Selbstzucht „magischer“ Pilze und Kakteen erfreut sich zunehmender Beliebtheit. „Hanf ist nicht länger das Ende der Fahnenstange. Im Zuge der Renaissance des nachwachsenden Rohstoffes Hanf erlebt auch die sogenannte Ethnobotanik ein größeres Augenmerk“, sagt Veigels Kompagnon Armin Hohlt. „Die steigende Akzeptanz von Cannabis läßt die an Rauschmitteln interessierten Menschen hinter die klassischen Rauschmittel wie Alkohol, Cannabis und Kokain schauen. Anderes Naturmaterial wie Pilze, Kakteen und Kräuter wird zunehmend interessanter.“

Inwieweit „das in der Soziologie beschriebene Phänomen zunehmender Orientierungslosigkeit“ zur Wiederentdeckung der Ethnobotanik beigetragen hat, läßt sich nach Hohlts Meinung schwer einschätzen. „Gewiß aber ist der Effekt, durch bestimmte Rauschwirkstoffe wie beispielsweise Mescalin oder Psilocybin einen neuen Wertehorizont kennenzulernen“, so Hohlt.

Besonders beliebt bei den Kunden sind die sogenannten „Seh die Pilze wachsen“-Sets. Die Haltung der mexikanischen Zauberpilze – auch „Gottes Fleisch“ genannt – ist relativ einfach. „Man stellt die Komplettbox mit den fertigen Pilzkulturen einfach warm, hält sie gut feucht, und nach etwa 14 Tagen kann man die Pilze dann schon sprießen sehen. Pro Kiste hat man zwischen drei- und fünfmal die Chance, die Pilze wiederholt wachsen zu sehen“, erläutert Veigel. Bei der Selbstzucht von Kakteen muß man schon etwas mehr Geduld aufbringen, insbesondere bei dem mexikanischen Peyote, dem bekanntesten rituell gebrauchten Kaktus. „Der Peyote ist ein sehr langsam wachsender Zeitgenosse“, so Veigel. „Der entwickelt erst nach fünf Jahren sein volles Potential.“ Anders ist es bei dem San-Pedro-Kaktus aus Südamerika, der die gleichen berauschenden Wirkstoffe wie der Peyote enthält. „Der San Pedro ist quasi der Turbo unter den Psychotropika. Der kann bei guter Pflege bis zu vierzig Zentimeter pro Jahr wachsen“, sagt Veigel. „Über den Gebrauch der Pilze und Kakteen dürfen wir die Kundschaft nicht informieren. Die in den Pflanzen enthaltenen Inhaltsstoffe fallen teilweise unter das Betäubungsmittelgesetz.“ Die Pilze und Kakteen dürfen nur angebaut und in lebender Form gehandelt werden. Die Ernte und Trocknung solcher Pflanzen kann von Gerichten als strafbare Gewinnung von Betäubungsmitteln gewertet werden. Veigel: „In geringer Dosierung gelten Pilze übrigens als eine gute Partydroge, Kakteen eignen sich eher als eine bewußtseinserweiternde Droge.“

Neben Pilzen und Kakteen hat „Tiefenrausch“ verschiedene Kräuter und Pflanzen aus nahezu allen Teilen der Erde im Angebot: Ginsengwurzeln aus Korea, Passionsblumen aus Lateinamerika, Kolanüsse aus Zentralafrika und vieles mehr. „Tiefenrausch“ hat die ganze Produktpalette an magischen Kräutern in Form von Tees, Räuchermischungen, Likören und puren magic herbs von „sensatonics“ im Programm.

„Sensatonics“ ist ein Wirkstoffpflanzen verarbeitender Laborbetrieb in Berlin und beliefert rund 50 Head-, Grow- und Smart-Shops in Deutschland und den Niederlanden mit seinen „magischen“ Pflanzenprodukten. „Uns scheint der sinnliche und übersinnliche Wahrnehmungsreichtum des menschlichen Wesens nicht annähernd vollständig erlebbar“, sagt Bernd Lauer, Inhaber von „sensatonics“. „Wir wollen sinnlichkeitsbegünstigende Pflanzen und Kräuterzubereitungen aus verschiedenen alten Kulturen und Volksheilkunden für den modernen Menschen erlebbar machen.“ Lauer greift auf einen großen Erfahrungsschatz zurück. Seit 1982 beschäftigt er sich mit ganzheitlicher Pflanzenheilkunde und Pflanzenalchimie (Spagyrik). Im eigenen Labor baut er mit Hilfe seines „Labormechanikers“ und Kompagnons Dietmar Esser nach pflanzenchemistischen Bedingungen alte überlieferte Rezepte nach und entwickelt Eigenkompositionen. „Durch Chemopillen und Ecstasy wird die Wahrnehmung verzerrt. Der Konsum solcher Drogen ist oft mit Schock- oder Angstzuständen verbunden“, so Lauer. „Wenn man sich dagegen auf die Interaktion mit den Pflanzen einläßt, wird es möglich, Umweltbestandteile zu erkennen, die zwar vorhanden sind, man aber sonst normalerweise nicht wahrnehmen kann. Die Pflanzen bewirken eine Wahrnehmungsführung, keine Wahrnehmungsverzerrung.“ Lauer begreift die Pflanzen als „ein Werkzeug, um die Natur zu verstehen“. Wichtig sind seines Erachtens Vorabinformationen über die Wirkungsweise der Pflanzen. „Man muß wissen, was man zu erwarten hat.“ Dem „Magic herbs“-Trend wird auf der Zweiten Internationalen Cannabusiness in diesem Jahr bereits Rechnung getragen werden.

Veranstalter Emil Riechmann von der Tri Tec GmbH: „Neben den traditionellen Sparten Paraphernalia, Grow und Hanfprodukte werden Kräuter und Tees einen weiteren Schwerpunkt auf der Hanfmesse in Castrop-Rauxel im September darstellen.“ Volker Wartmann

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