Aufschwung Ost jenseits der Oder-Neiße-Grenze

■ Das „World Hemp Center“ soll Polen in eine goldene Hanfzukunft führen: In Posen will man nicht mehr nur forschen, sondern mit dem Anbau von Hanf nun auch Geld verdienen

„Die Zeiten, in denen Polen ein Prozent der Welternte an Nutzhanf einführte, sind lange vorbei.“ Maria Burowska aus dem Landwirtschaftsministerium in Warschau blättert in Statistiken, Expertisen und Genehmigungen zum Hanfanbau. „Vor dem Zweiten Weltkrieg haben wir 30.000 Hektar jährlich angebaut. Danach immerhin noch um die 10.000 bis 20.000 Hektar. Unter der Schocktherapie der marktwirtschaftlichen Reformen brach der Markt 1990 zusammen. Letztes Jahr haben wir keine 600 Hektar bewirtschaftet. Auf dem Weltmarkt ist Polen als Produzent von Nutzhanf verschwunden.“

Im westpolnischen Poznan (Posen) schmieden allerdings bereits Wissenschaftler und risikofreudige Unternehmer an einem „World Hemp Center“ (WHC), das Polen in eine goldene Hanfzukunft führen soll. Das wissenschaftliche und logistische Know-how liefert das Naturfaserinstitut in Posen. Das Institut gehört nicht nur zu den Hauptinitiatoren des WHC, sondern verfügt mit seinen 100 Mitarbeitern, sieben Außenstellen in ganz Polen und über 60 Jahren Erfahrung mit Anbau, Verarbeitung und Züchtung neuer Hanfsorten auch über eine gut ausgebaute Infrastruktur. „Wir sind zur Zeit die einzigen Züchter in Polen, die Hanfsamen produzieren und vertreiben dürfen. Weitere Genehmigungen hat die Regierung nicht erteilt. Da die Preise für Hanfsamen in den letzten zwei, drei Jahren wieder angezogen haben, wollen wir unser privatwirtschaftliches Engagement auf diesem Sektor starten“, erklärt Lidia Grabowska, die Leiterin der Abteilung für Hanfzüchtung und -anbau im Naturfaserinstitut. „Allein in diesem Jahr wollen wir bereits 2.000 Hektar Hanf anbauen. Das entspricht in etwa der Hälfte der für ganz Polen genehmigten Anbaufläche.“

Kleinbauern, die nicht mit dem Naturfaserinstitut in Posen zusammenarbeiten, müssen seit 1985 den damals gesetzlich festgelegten, bürokratischen Hindernislauf alleine absolvieren. Mit dem Gesetz zur Vorbeugung gegen Drogenabhängigkeit sollten Tausende von Marihuana-Plantagen untergepflügt werden. Die Gesetzgeber hatten es aber verabsäumt, sich mit Experten zu beraten. Die Folge: Sie stellten den gesamten Hanfanbau unter Genehmigungspflicht. Jedes Jahr legen nun die Minister für Landwirtschaft und Gesundheit die genaue Anbaufläche Hunderter von Gemeinden fest. Die Bauern müssen dann in ihrer Gemeinde nachfragen, wieviel Hektar Hanf sie im neuen Jahr bebauen dürfen. Dann müssen sie noch einen Vertrag mit einer Fabrik vorlegen, die wiederum die Genehmigung braucht, Nutzhanf verarbeiten zu dürfen. Als Anfang der neunziger Jahre die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften reihenweise Bankrott anmelden mußten, war den meisten Privatbauern das Genehmigungsverfahren für ein paar Hektar Hanf zu aufwendig. Sie pflanzten statt dessen Getreide oder Rüben an. 1992 war der Tiefpunkt erreicht. Bei einer Gesamtanbaufläche von 18,6 Millionen Hektar entfielen auf Nutzhanf gerade mal 48 Hektar.

Die Euphorie des Posener Naturfaserinstituts kann Burowska nicht teilen: „30.000 Hektar wie vor dem Krieg werden es wohl nie wieder werden. Aber Polen hat sich ja von einem Hanfexport- zu einem Hanfimportland verwandelt. Das ist ganz schlecht und muß sich unbedingt ändern. Wirtschaftliche Bedeutung aber wird Hanf erst dann erlangen, wenn er – billiger als andere Rohstoffe – als Energieträger eingesetzt werden kann.“ In Posen laufen derweil die Vorbereitungen für das „World Hemp Center“ auf Hochtouren, Broschüren und Informationsblätter werden gleich in mehreren Sprachen erstellt, potentielle Investoren im In- und Ausland angeschrieben, Förderanträge gestellt und Vorträge gehalten. Noch aber reagieren die polnischen Medien überhaupt nicht. Das Thema „Hanf“ hat in Polen nur eine Konnotation: Marihuana, Rauschgift und Drogenabhängigkeit.

Das soll sich spätestens mit der Präsentation von Hanfprodukten auf der Posener Internationalen Messe ändern. „Wir wollen Hanfprodukte in ihrer ganzen Vielseitigkeit vorstellen“, so Lidia Grabowska: „Als Textilfaser für robuste Kleidung und Industriestoffe, als Zellulose für Papier, als Öl für Kosmetik und Arzneimittel, als Schäbe für Baustoffe und Möbel.“ Die selbstbewußte Prognose der künftigen Aktiengesellschaft ist kurz und prägnant: „hoher Gewinn“. Gabriele Lesser