piwik no script img

"Wie eine Palme auf dem Nordpol"

■ Jeder vierte Berliner Bosnien-Flüchtling stammt aus der Stadt Bijeljina im serbischen Teil des Landes. Eine Rückkkehr ist unmöglich

An der Grenze zu Restjugoslawien und Kroatien in der Republik Srpska liegt Bijeljina. Die ehemals reiche Stadt hat für Berlin eine besondere Bedeutung: Ein gutes Viertel der Berliner Flüchtlinge, 8.000 Menschen, stammen von dort. Bijeljina war Schauplatz der ersten Kriegshandlungen, etwa 30.000 Muslime wurden von serbischen Einheiten vertrieben. Die etwa 3.000 verbliebenen Muslime leiden nach Angaben von Hilfsorganisationen heute noch unter Repressalien. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) hat angekündigt, daß keine Flüchtlinge in die Republik Srpska abgeschoben werden sollen.

In Bijeljina ist die „ethnische Säuberung“ vollzogen. In dem schmucken Städtchen mit dem repräsentativen Rathausplatz und vielen, mittlerweile wieder herausgeputzten Häusern leben fast nur noch Serben, rund 120.000 EinwohnerInnen hat Bijeljina heute. Muslime haben hier im wahrsten Sinne des Wortes keinen Platz mehr. Denn ihre Häuser sind von 50.000 serbischen Binnenflüchtlingen aus der Krajina und aus dem jetzigen Gebiet von Bosnien- Herzegowina besetzt. Auch auf der ideologischen Ebene ist ein Zusammenleben von Muslimen und Serben nicht mehr erwünscht.

„Wir müssen uns zuerst um unsere eigenen Probleme kümmern“, sagt der Bürgermeister von Bijeljina, Dragomir Ljubojević, ohne Bedauern, „denn 30.000 unserer Bürger leben am Rande des Existenzminimums.“ Mit „wir“ meint er jetzt nur noch die Serben, nicht mehr die vertriebenen muslimischen EinwohnerInnen. Deswegen redet der Politiker, der der Serbischen Demokratischen Allianz (SDA) angehört, auch nicht gern über die 8.000 Berliner Flüchtlinge aus Bijeljina. Wollten diese tatsächlich in ihre Heimatstadt zurück, dann wäre es so, als ob eine „Palme auf den Nordpol verpflanzt“ würde, umschreibt er blumig das Problem. Die Wiederkehr wird durch ein in der ganzen Republik Srpska geltendes Gesetz erschwert, das besagt, daß (serbische) Binnenflüchtlinge, die jetzt in fremdem Eigentum leben und dort auch bleiben wollen, nicht wieder ausziehen müssen.

Doch seinen großserbischen Traum kann Ljubojević nicht ganz offen proklamieren, deshalb muß der Sozialneid als Erklärung herhalten: „Ich befürchte Reibereien bei einer möglichen Rückkehr, denn die Flüchtlinge haben in Berlin sehr gut gelebt.“ Auch er bekomme umgerechnet nur 100 Mark Gehalt und das Brot sei in Bijeljina teurer als in Deutschland, beklagt er. Und um es ganz klarzumachen, fügt er hinzu: „Nicht ein Zimmer ist bei uns frei.“

Der Bürgermeister will den Muslimen keine Chance geben. Er spricht ihnen auch die Motive für die Flucht vor vier Jahren ab. Ljubojević glaubt, daß fast die Hälfte der Flüchtlinge aus wirtschaftlichen und nicht aus ethnischen Gründen geflüchtet seien. Auch bestreitet er, daß tatsächlich 8.000 Flüchtlinge aus seiner Stadt in Berlin leben. Seine Erklärung: „Viele haben einfach angegeben, daß sie aus Bijeljina kommen, weil sie dann nicht so schnell abgeschoben werden.“ Der Bürgermeister wünscht sich eine „gerechte Behandlung“ für die Heimkehrer: „Die Flüchtlinge aus Deutschland müssen erst mal das Schicksal ihres eigenen Volkes teilen.“

Das bedeutet konkret nur eine Rückkehr in Gebiete der gleichen Glaubenszugehörigkeit: Muslime sollen nach Zentralbosnien, Serben in die Republik Srpska und Kroaten nach Herceg-Bosna im südwestlichen Teil Bosnien-Herzegowinas. Dann, irgendwann später, wenn alle „Statusfragen“ geklärt seien, könne man über eine Wiederkehr reden.

Eins ist jedoch für den Bürgermeister jetzt schon klar, und das sagt er auch ganz offen: Allen vertriebenen Serben steht es jederzeit offen, in die Republik Srpska zu kommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen