Brutale und hinterhältige Männerwelten

■ Wenn Pennälerliteratur ans Eingemachte geht. Zwei Bücher über eine High-School als Abziehbild der gewalttätigen US-amerikanischen Gesellschaft

Ich habe noch nie Geschichten für Jugendliche gelesen, die so roh sind. Hinter jedem Satz, jedem Wort dieser Texte lauert Aggressivität. Ich bin immer wieder erstaunt, daß es dem Autor gelingt, die Brutalitäten von Seite zu Seite zu steigern. Sowohl „Der Schokoladenkrieg“ als auch die Folgegeschichte „Der schwarze Kasten“ spielen in der schäbigen Männerwelt der Trinity High-School. Die Lehrer sind Laienbrüder, die mehr mit ihren Machtkämpfen um die Führung der Schule beschäftigt sind, als daß sie sich um das Wohl ihrer Schüler kümmern. Dafür steht Bruder Leon. Auf der Schülerseite gibt es eine traditionelle Organisation, „die Scharfrichter“, derzeit geführt von dem Psychosadisten Archie Costello, der von allen gehaßt, gefürchtet und bewundert wird, weil er immer willfährige Täter findet, die seine Ränke in die Tat umsetzen.

Beide Bücher wirken wie das Sinnbild einer menschenverachtenden, pseudodemokratischen Gesellschaft, die für ihre eigenen Ideale das größte Hindernis darstellt. Eine fast militärische Männerwelt, die keine Freundschaften, sondern nur Zweckbündnisse kennt, die von Idealen redet, aber wehe dem, der sie für bare Münze nimmt. Und sollte doch einmal so etwas wie Freundschaft an dieser Schule aufkeimen, sie würde mit DDT behandelt.

Im ersten Buch, dem „Schokoladenkrieg“ beginnt das Böse eigentlich mit einer Banalität. Jerry Raynold, ein Neuling auf der High- School, bekommt von den „Scharfrichtern“ den Auftrag, sich einer Benefizveranstaltung, dem alljährlich stattfindenden Schokoladenverkauf, zu widersetzen. Auf der anderen Seite schließen Archie Costello und Bruder Leon ein Bündnis, das dafür sorgen soll, daß kein Schüler sich dem Verkauf entzieht. Plötzlich steht Jerry allein gegen alle. Er hat sich von Bruder Leon versichern lassen, daß die Sache freiwillig ist. Also nimmt er sich die Freiheit heraus, nein zu sagen, die Schokolade nicht zu verkaufen.

Von Tag zu Tag steigern sich die Haßgefühle der Lehrer und der Mitschüler gegen Jerry. Dieser Neuling wagt es, sich dem kollektiven Tun zu widersetzen. Er wagt es, allen die Stirn zu bieten. Und was Archie Costello, der dieses Experiment ja inszeniert hat, nicht vorhersehen konnte: Seine Macht schwindet durch diesen sturen Neuling, der sich von nichts und niemandem abbringen läßt, das enge Universum der Trinity High- School zu sprengen.

Das zweite Buch schildert die Trinity High-School nach dem Schokoladenkrieg. Archie Costello ist weiterhin der Herrscher auf dem Campus. Berechnend, machtbesessen, von sich selbst nie auch nur das kleinste Stück preisgebend, geht er in sein letztes High-School-Jahr. Es gilt einen Nachfolger aufzubauen, der fähig genug ist, seine grausamen und subtilen Spielchen weiterzuführen und die Geschicke der „Scharfrichter“ zu lenken. Bruder Leon, inzwischen zum Schulleiter avanciert, ist der einzige ernstzunehmende Gegner für Archie. Dem will er jetzt an den Kragen. Doch hat ihn ein wenig sein Instinkt verlassen. Der brutale Umgang mit Jerry hat seine Spuren hinterlassen. In allen Mitschülern flackert ein versteckter Haß gegen Archie, der ihn an den Rand des Todes bringt.

Fast am Ende des Buches fliegt eine Tomate Bruder Leon an den Kopf, ohne daß Archie seine Finger im Spiel hat. Sie fliegt Bruder Leon aus Empörung an den Kopf, während der heuchlerisch ein paar Trauerworte über einen zu Tode gekommenen Schüler verliert. Der Tomatenwerfer wird am nächsten Tag einstimmig zum Klassensprecher gewählt. Wer nun glaubt, das sei ein Zeichen der Hoffnung, daß sich etwas an der Schule ändern wird, der sollte an dieser Stelle mit dem Lesen aufhören. Denn Archie hat, bevor er die Schule verließ, die Karten neu zusammengesteckt. Peter Huth

Robert Cormier: „Der Schokoladenkrieg“. Fischer Schatzinsel, ab 13, 12,90DM

Robert Cormier: „Der schwarze Kasten“. Fischer Schatzinsel, ab 13, 29,80DM