Überblick auf sechs Metern

■ Die bunte Welt politischer Klischees: eine Erró-Retrospektive im Kunsthaus

Über sechzig Bilder überschwemmen in ihrer collagierten Bilderflut derzeit das Kunsthaus: „Political Paintings“von Erró adeln die Karikatur zu einem Weltbild voller bunter, perverser Machtorgien. Als Gudmundur Gudmundsson 1932 geboren, lebt der isländische Maler unter dem Künstlernamen Erró seit 1958 in Paris. Aus diesem Jahr stammen auch seine eher konventionellen Collagen, die zum Ausgangspunkt seines immer komplexer werdenden Werkes werden.

In den siebziger Jahren konfrontiert er meistens zwei grundverschiedene Bilder oder Bildbestandteile zu einem verwirrenden Metabild. NS-Kriegsplakate werden mit Pornoszenen der Underground-Comix-Zeichner Robert Crumb und S. Clay Wilson kombiniert: Aus „Make Love not War“wird Krieg als Sex und Sex als Krieg. Vietcong besetzen typisch US-amerikanische Vorstadtambiente und Mao schreitet fast schwebend über den überschwemmten Markusplatz in Venedig: Wahnbild verblendeter Intellektueller, Hysterie vor der „gelben Gefahr“oder Sieg des Sozialismus? Errós Secondhandbilder werden über die Tagespolitik hinaus zu einem Gedächtnis von vergessenen Geschichtsvisionen.

Je jünger die Arbeiten werden, desto komplexer sind sie. „Ich kann die einfache Form nicht halten“, sagt Erró, „es gibt keine großen Leitfiguren mehr.“Die Realität verschwindet gänzlich in den Medien. Das führte nicht zuletzt der Golfkrieg exemplarisch vor. Erró ermalt sich den aufklärenden Überblick nun in sechs Meter breiten Riesenformaten. Konventionell in der Herstellung halten die heroisch um einen Zusammenhang bemühten Bilder der Welt in ihrem Irrsinn den Spiegel vor, wie manieristische Allegorien.

Alle Bildbestandteile sind vorgefundene Formulierungen, das gemalte Bild kommt wie ein Ready-made aus Medienklischees zustande. Auch wenn einzelne Karikaturen oder einzelne Comicbilder als eine zur kenntlichen Position verzerrte Weltsicht geschätzt oder belächelt werden, nun in der gleichzeitigen Präsenz eines großen Ölbilds aufgehoben, entfalten sie eine verstörende Aufdringlichkeit. Wie im Vergleich zu den als „Vorzeichnungen“dienenden Papiercollagen zu erkennen ist, verwendet Erró zwar nur gefundenes Material, in der Zusammenstellung, der Raumkonstruktion und der Hinzufügung kleiner, verbindender Bildscharniere wird aber der in Italien an Freskenmalerei geschulte Künstler deutlich.

Zwischen der international weitgehend gesicherten Kunst in den Deichtorhallen und der Galerie der Gegenwart setzt das Kunsthaus einen markigen Akzent mit einer Kunst, die zwar keineswegs neu ist, deren Ansätze aber eine erneute Revision gut vertragen. Es ist nicht zuletzt Catherine David, die Macherin der kommenden documenta X, die die politische Kunst der siebziger Jahre für bis heute zu wenig aufgearbeitet hält und Arbeiten schätzt, die die Medien reflektieren. Mit Sicherheit wird sie Errós verstorbenen Freund Öyvind Fahlström im Sommer zeigen. Auch Errós Teilnahme an der Großausstellung wird hoch gehandelt, selbst wenn er selbst das nicht bestätigen mag. Hajo Schiff

Kunsthaus, Klosterwall 15, bis 19. Mai, gebundener Katalog im Verlag Gerd Hatje, 104 S., 38 Mark.