Eine historische Feindschaft bröckelt

Erstmals nimmt die ungarische Minderheit in Rumänien an einer Regierungskoalition teil. Die alten chauvinistischen Töne haben neuen Gesten der Versöhnung Platz gemacht  ■ Aus Klausenburg Keno Verseck

Noch vor wenigen Monaten war Ungarn der offizielle Erzfeind Rumäniens. Die beiden Länder schlossen im September 96 zwar einen Vertrag über gutnachbarschaftliche Beziehungen ab, der die bestehenden Grenzen garantiert und eine Verbesserung der Minderheitenrechte festlegt. Auch verpflichteten sich beide Seiten, auf nationalistische und chauvinistische Propaganda zu verzichten. Doch nur Wochen später entwarfen Rumäniens ehemaliger Staatspräsident Ion Iliescu und seine damals regierende „Partei der sozialen Demokratie“ (PDSR) im Wahlkampf altbekannte Bedrohungsszenarien: Ungarn wolle Siebenbürgen rauben, die 1,6 Millionen Ungarn in Rumänien und ihre stärkste Vertretung, der „Demokratische Verband der Ungarn in Rumänien“ (UDMR) seien dabei die fünfte Kolonne.

Die nationalistische Propaganda, bei den Wahlen von 1990 und 1992 so erfolgreich, verhinderte die Wahlniederlage Iliescus und der PDSR diesmal nicht. Die Mehrheit der Rumänen nahm sie schlicht nicht mehr ernst. Mehr noch: Nach dem Wahlsieg der demokratischen Opposition im Herbst 1996 gab es historische Neuerungen. In Gestalt des Ungarnverbandes nimmt zum ersten Mal in der Geschichte Rumäniens eine Minderheitenvertretung an einer Regierungskoalition teil, zum ersten Mal gibt es ein Minderheitenministerium.

Demokratische Normalität, die in Rumänien nie selbstverständlich war. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor Ungarn zwei Drittel seines Staatsgebietes. Siebenbürgen und das Westbanat gelangten an Rumänien. Das zementierte die historische Feindschaft der beiden Länder. Ungarns revisionistische Politik in der Zwischenkriegszeit zielte darauf ab, den Gebietsverlust rückgängig zu machen; 1940–44 hielt das Land Nordsiebenbürgen besetzt. Rumänien wiederum trat Minderheitenrechte jahrzehntelang mit Füßen, ganz gleich wer an der Macht war.

Nach dem Amtsantritt der neuen Regierungskoalition prophezeiten Nationalisten wegen der Teilnahme des Ungarnverbandes eine „nationale Katastrophe“. Das Gegenteil war der Fall: Erstmals seit Jahren entspannten sich das Verhältnis zu Ungarn und das vergiftete innenpolitische Klima. Der erste Besuch des neuen rumänischen Außenministers Adrian Severin, der durch seine Menschenrechtsarbeit in Europarat international bekannt wurde, führte nach Budapest. Dort legte er mit seinem Amtskollegen László Kovács die Maßnahmen für die historische Versöhnung der beiden Länder fest. Auf dem Programm stehen gemeinsame Historikertagungen sowie eine Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen.

Auch für den rumänischen Ministerpräsidenten Victor Ciorbea war ein Besuch in Budapest vor zwei Wochen der erste Auslandsbesuch als Regierungschef. Mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Horn unterzeichnete er mehrere Abkommen zur ökonomischen und kulturellen Zusammenarbeit. Ciorbeas Resümee: In einer Region voller zwischenstaatlicher Konflikte könnten sich Ungarn und Rumänien zu Musterpartnern entwickeln.

Vor allem innenpolitisch hat Rumänien in wenigen Monaten viel dafür getan. Kurz vor Severins Budapest-Besuch begnadigte Staatspräsident Emil Constantinescu den ungarischen Gefangenen Pál Cseresznyés, der unter allen Verurteilten der antiungarischen Ausschreitungen vom März 1990 als letzter im Gefängnis saß. Vorher scheinbar Unmögliches gehört nun zum politischen Alltag: In einigen Kreisen amtieren ungarische Präfekten und Subpräfekten. Das Parlament verabschiedet ein Gesetz, laut dem die ungarische Minderheit die theoretische Führerscheinprüfung auch in ihrer Muttersprache ablegen kann.

Die bisher deutlichste Versöhnungsgeste unternahm der rumänische Ministerpräsident anläßlich des 15. März, an dem Ungarn der gescheiterten antihabsburgischen Revolution von 1848 gedenken. Ciorbea richtete, auch das einmalig in der rumänischen Geschichte, eine Grußbotschaft an die ungarische Minderheit, in der er auch den 1848er Revolutionsführer Lájos Kossuth würdigte. Und das, obwohl Kossuth in Rumänien als negative historische Figur gilt, weil er 1848 den siebenbürgischen Rumänen politische Rechte verweigerte, woraufhin die Rumänien auf Seiten der Habsburger kämpften.

Angesichts dieser radikalen Wende wäre es fast verwunderlich, wenn in Rumänien keine Töne gegen die ungarisch-rumänische Versöhnung aufkämen. Die bedeutendste und einflußreichste Tageszeitung des Landes, Adevarul (Die Wahrheit), torpediert die neue Regierungspolitik mit nationalistischen Argumenten. Der rumänische Geheimdienst SRI widmet in seinem Jahresbericht 1996 der „ungarischen Gefahr“ in Siebenbürgen erneut einen langen Abschnitt. Rumäniens christdemokratischer Innenminister Gavril Dejeu hebt bei jeder Gelegenheit hervor, daß sein Vater 1940 von ungarischen Besatzungstruppen erschossen worden ist.

Die bisher größte Kontroverse löste die Ankündigung von Ministerpräsident Ciorbea aus, den Ungarn ihre Bolyai-Universität im siebenbürgischen Cluj zurückzugeben. Sie war von den Kommunisten 1958 aufgelöst und mit der rumänischen Babeș-Universität zwangsvereinigt worden. Der Vorschlag teilte die Ungarn in Rumänien in zwei Lager. Laut Meinungsumfragen würden die meisten ungarischen Studenten ungarischsprachige Studienmöglichkeiten in einer gemeinsamen Universität bevorzugen, während viele Politiker des Ungarnverbandes die Trennung fordern.

Ciorbea erklärte daraufhin, daß ungarische Sektionen innerhalb einer gemeinsamen Universität gegründet werden könnten. Den Verlauf der Diskussion nahmen nationalistische ungarische Politiker als Indiz dafür, daß die Ungarn um ihre Rechte gebracht werden sollen und die Koalitionsteilnahme des Ungarnverbandes nicht als ein Verrat an den Interessen der ungarischen Minderheit sei.