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Streicheln, wie es nur der Hautarzt kann

■ Martin Walsers Stück „Kaschmir in Parching“ wurde in Karlsruhe uraufgeführt

In einem Interview meinte er gerade, „abstraktes moralisches Vorschlagswesen“ sei ihm inzwischen unmöglich, sein Schreibimpuls richte sich vor allem gegen „Feuilleton-Linke, die ohne jede Praxis sind“. Starke Worte des 70jährigen Martin Walser, der vor 40 Jahren mit dem Roman „Ehen in Philippsburg“ das literarische Parkett betrat und dem es hauptsächlich um den spießigen Kleinbürger geht, der sich nicht so recht zu tun traut, was er gerne tun würde. Im letzten Roman „Finks Krieg“ führt er vor, was passiert, wenn das Rechtsempfinden solch eines Kleinbürgers gestört wird; wie er zum Kohlhaas und zur tragischen Figur ohne Fallhöhe wird.

Was in der epischen Umkreisung noch klappt, wirkt sich in Walsers Theaterstücken eher kontraproduktiv aus. Komprimiert er Spießertum in Theaterfiguren, unterlaufen ihm Anfängerfehler, führt seine Personage ihre Befindlichkeiten derart auf äußerster Zungenspitze spazieren, daß man sich einer pädagogischen Dauerberieselung ausgesetzt fühlt: Seht her, so ist der Mensch! Wogegen Walser zu Felde ziehen will, unterläuft ihm selbst; bevor man auf eine Figur neugierig werden könnte, ist sie bereits erklärt.

Das gilt auch für sein neuestes Theaterstück „Kaschmir in Parching“. Eines der merkwürdigsten Stücke, das in letzter Zeit geschrieben wurde. Es beginnt in naturalistischer Manier. In Parching, einer Münchner Schlafvorstadt, will Kelter sich zum Bürgermeister wählen lassen und wird von Luigi unterstützt, dem Freund und Zeitungsverleger. Kelter treibt es allerdings mit Luigis Gattin Marlene, nicht wissend, daß Luigi gleichzeitig seiner Gattin Lissi beiwohnt. Eigentlich würden sich die Verklemmten gerne scheiden lassen und fortan ihre eingebildete amour fou leben. Aber sie trauen sich nun einmal nicht.

Dabeisein darf auch ein drittes Paar. Mit dem Unternehmer Droysen führt Walser die Verquickung von Geld und Politik vor. Daß sich ausgerechnet die wesentlich jüngere und grün-alternativ getönte Jutta für ihn entflammt, mag noch als obligatorischer Hieb gegen politisch korrekte Zeigefinger durchgehen. Läßt er allerdings unvermittelt einen Fritz mit Nachnamen Vritz aus dem Nichts auftauchen, wird aus dem naturalistischen Reigen ein allegorisches Spiel, in dem sich Walser verheddert. Fritz dient allen als Projektionsfläche und entlockt den Frauen Seufzer. Die Mischung aus Botho Strauß' „Kalldewey“ (man erinnere sich: „Kalldewey mit Namen, / hält brav zurück den Samen“) und dem Gast in Pasolinis „Teorema“ bricht in die verklemmte Idylle ein – und Walsers Stück auseinander. Natürlich dichtet der Überraschungsgast. Zur Verlegersgattin sagt er: „Ich schreibe ein Stück: Marlene und Fritz. Untertitel: Hautärztin und Dichter. Ich brauche eine Hautärztin. Ich bestehe nämlich nur aus Haut. Ich bin nichts als Haut. Und meine Haut schreit nach dir. Streichle mich, bitte, wie nur eine Hautärztin es kann.“

Daß man damit nicht einmal in die Regionen einer Persiflage vordringen kann, müssen die Theater bemerkt haben. Wie sonst wäre zu erklären, daß sie sich nicht gerade auf das feuilletonträchtige Stück warfen. Gelandet ist die Uraufführung schließlich in Karlsruhe.

Für eine der letzten Premieren unter dem glücklosen Schauspielchef Guido Huller wurde als Uraufführungsregisseur eigens Christian Stückl von den Münchner Kammerspielen geholt. Walser soll sich den jungen Regisseur gewünscht haben, der 1992 mit Werner Schwabs „Volksvernichtung“ zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde und nun angesichts von „Kaschmir in Parching“ entschieden in die Schwabenoffensive ging.

Die allerdings überfordert das Karlsruher Ensemble entschieden. In seiner Not, das Ganze irgendwie grotesk zu gestalten, zitiert Stückl und läßt die verklemmten Sexakrobaten zu Beginn mit Dildos hantieren. Eine Idee, die der geglückten deutschen Erstaufführung von Werner Schwabs „Der reizende Reigen des reizenden Herrn Arthur Schnitzler“ im Oktober letzten Jahres in Stuttgart entliehen ist.

Und wenn sie sich dann singend zum Gruppenbild mit „Treu sein, nit außigrasn“ arrangieren, durften wir genau das und genau so schon einmal in einer Marthaler-Inszenierung hören. Daß der entklemmte Fritz the Vritz sich bei Walser als Mozart-Reinkarnation vorstellt und Stückl logischerweise mit Melodienschnipseln aus der „Zauberflöte“ spielt, sei auch noch erwähnt. Das ist so jenseits von Gut und Böse, daß es schon wieder was hat. Jürgen Berger

Martin Walser: „Kaschmir in Parching“. Regie: Christian Stückl. Ausstattung: Stefan Hageneier. Mit Birgit Bücker, Eckhard Winkhaus, Urs Affolter, Sofia Brandt- Nikols u.a. Badisches Staatstheater Karlsruhe

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