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Exotische Malaise

■ „Lone Star“ von John Sayles ist wie ein in einen Ethnoroman eingewickelter Krimi. Die Dramaturgie ist wie Softeis, und Kris Kristofferson tut nur seine Pflicht

Dies ist ein kleines Städtchen, einerseits. Andererseits ist es am Rio Grande gelegen, wo schwitzende Schlepper mit blitzenden Augen ohnmächtige Frauen aus dem Wasser ziehen, ans Ufer der Vereinigten Staaten Amerikas.

Wir bewegen uns also im Zentrum der Konflikte von Siedlerkultur, Assimilation und Illegalität. Und gruseliger Vorgeschichte. John Sayles interessiert sich, wie wir spätestens seit seiner Meistererzählung „City of Hope“ wissen, für die großen Dinge im kleinen Rahmen. „Lone Star“ hat wieder einen Titel mitbekommen, den man schnell vergißt.

Die Leute sagen hier Sätze wie: „Außer Gott weiß das keiner“, und wenn die Synchronisation dem Original etwas zu treu bleibt, heißt es: „Er ist immer noch schwer sauer.“ Im Tempo des Romans wird der Bogen gespannt, der von jetzt bis in die Endfünfziger zurückreicht. Dabei ist das Lokalkolorit – weiß, spanisch und schwarz – mit Liebe aquarelliert, und die gewisse Drastik der Figuren mischt sich in der ersten Stunde des Films recht possierlich mit der Betulichkeit des Ambientes, in das der Regisseur verliebt zu sein scheint.

Der in den Ethnoroman eingewickelte Krimi allerdings ist von magerer Gestalt: Ein korrupter Sheriff wurde damals erschossen, und der amtierende Sheriff muß Ermittlungen auch gegen seinen verstorbenen Vater führen. Am Ende beichtet jemand den Mord, wird vom frustrierten Polizisten aber instantbegnadigt.

Der Clou der Vatergeschichte kommt spät und läuft darauf hinaus, daß die inzwischen wiedergefundene hispanische Freundin aus der Highschool-Zeit eine Halbschwester ist; aber auch hier wird der Schleier einer zweifelhaften Konfliktmüdigkeit zugezogen, um die Bühnenschwärze der klassischen Tragödie zu bemänteln. Nach mehr als zwei Stunden muß der Film dann doch zu Ende gehen. Er ist für das Drehbuch um so viel zu lang, wie das Cinemascope-Format für die Regie zu breit ist, etwa dreißig Prozent.

Trotz oder wegen der Geschichtslektionen, die politisch bewußte und korrekte Mitglieder der konkurrierenden Stämme beizeiten zum besten geben, werden wir keine imaginären Bewohner von Rio County. Das Modellhafte der Erzählung funktioniert solange, wie Lakonie vorherrscht. Wenn Rührung aufkommt, läuft die Dramaturgie weg wie Softeis.

Schade, wo doch der Film alles bietet, was deutsche Kinogänger so lieben, daß es sich schon ausgeweitet hat auf die Werbeblöcke: Mischlicht, amerikanische Verschrobenheit, urige Musik. Aber eine Liebesszene, in der die Frau abschließend „Wow“ sagt, löst dann doch Stürme der Heiterkeit aus. Das ständige Vogelzwitschern und Hundebellen aus den hinteren Lautsprechern der Quadrophonie tragen zu dem ungünstigen Eindruck bei, die Quellen des Film würden sich unter der Hand verflüchtigen.

Das Sprachgemisch und die falschen Akzente der deutschen Synchronsprecher verschärfen die exotische Malaise. Es gibt keine Spitzenleistungen bei den Schauspielern, auch Kris Kristofferson tut in den Rückblenden als der später zu ermordende Fiesling auch nur seine Pflicht.

Im Ethnogenre steht „Lone Star“ gegen einen Film, zum Beispiel, wie „Paradise Brooklyn“ noch ganz gut da, weil Sayles nicht versucht, ideologisches Gerümpel auf uns abzuladen. Daß der Held ein weißer Versager ist, enthebt den schreibenden Regisseur der übelsten Versuchungen der Stilisierung.

Leider teilt Sayles aber die Amtsmüdigkeit seiner Hauptfigur. Die Überlebensprobleme der Hispanos und der Schwarzen dagegen bleiben Bilderbuch, nicht uninteressant, aber zu Unrecht in den Nebenrollen. Den Regisseur aber sollte es nicht grämen; er kann (und wird!) es im Nachbarcounty noch einmal versuchen. Ulf Erdmann Ziegler

„Lone Star“. Drehbuch, Regie und Schnitt: John Sayles. Kamera: Stuart Dryburgh. Mit Kris Kristofferson, Matthew McConaughey, Chris Cooper, Elizabeth Pena, Ron Canada, Frances McDormand u.a., USA 1996, 127 Min.

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