Kaschmir im Purgatorium

■ Olive und Faithless bemühen sich, Evergreens der britischen Tanzmusik zu erfinden / Ein Portiönchen weicher Soul hier, eine Kelle Schamanismus dort

Kann aus einem Simply-Red-Musiker noch was vernünftiges werden? Nach all dem musikalischen Eingeschleime bei Mutti in Begleitung eines singenden Teekesselchens mit roten Korkenzieherlocken? Da scheint der Lebensweg doch eigentlich vorgezeichnet: Bei der Verfolgung des guten Geschmacks von Gottes Schleimwellen ertränkt, sollte man vermuten.

Doch Tim Kellett, als Keyboarder jahrelang zuständig für die salzlose Fettigkeit im Simply-Red-Sound, ist durch das Fegefeuer des TripHop gegangen und hat sich Übergewichtig an Soul-Musik ausgeschwitzt. Jetzt ist er Olive, das gesunde Fett mit dem Paprikaherz. Gemeinsam mit der Folk-Musik-Stimme von Ruth-Ann und seinem Studio-Kumpel Robin Taylor-Firth arbeitet er an einer neuen Weichheit, die nicht mehr weh tut: Kaschmir im Purgatorium.

Das ist vielleicht manchmal noch immer ein bißchen zu schön, um wahr zu sein, aber Stücke wie „You're Not Alone“oder „This Time“kann man auch als die Suche nach dem unbefleckten Dancefloor-Evergreen verstehen. Und die Herren Soundbastler geben sich tatsächlich alle Mühe, Glattheit zu bekämpfen, bevor sie unschicklich wird. Kurz vor zuviel orchestralem Echoeinsatz zucken einige wabbernde Akkorde über die Oberfläche und verkratzen das Glänzen.

Wohl, Ruth-Ann hat eine Stimme, die das Rätsel bewahrt, ob ihre schönen Melodien nun ein Produkt von Einfallsreichtum oder Leidenschaft sind: Tendenz sachlich schön. Aber das entspricht auch nur der englischen Tendenz, Soul ins Affektierte zu stilisieren, der man alle Sympathie entgegenbringt, solange die Basis nicht mit dem Mainstream fraternisiert.

Den britischen Tanz-Evergreen haben Faithless bereits geschafft. „Insomnia“ist auch ein Jahr nach der Veröffentlichung noch immer eine Freude für Ohren und Augen (so man Musikkanäle anguckt). Maxi Jazz' schamanistischer Sprechgesang zu der wild gemischten Musik auf dem Debüt Reverence kam beim letzten Live-Auftritt allerdings ein wenig wie allzu entspannte Unterhaltungsmusik daher.

Dabei ist der Kratzbürsten-House auf Reverence eine wirkliche Entdeckungsreise in die Möglichkeiten eines oft debilen Musikmediums. Die Kombination von vier Musikern, die von verhaschtem Geklampfe über U2-Remixe bis zu Hardcore-Techno schon alles möglich durchgemacht haben, fügte sich hier zur glücklichen Allianz.

Reverence hat sich mittlerweile zu einem echten Meilenstein der britischen Musikgeschichte hochgeschlichen, und so kann die Band auch ohne Nachfolgealbum erneut konzertieren. Als Kontrast zu der weichen Herzlichkeit von Olive wäre allerdings diesmal etwas Härte erbeten, damit Kaschmir nicht über Purgatorium siegt.

Till Briegleb Mo, 31. März, 21 Uhr, Gr. Freiheit