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Senat rückt von Wachstumszielen ab

■ 55.000 Einwohner mehr? Nölles neuer „Finanzbericht Nr.1'97“verabschiedet sich klammheimlich von umstrittenen Zielzahlen

„Finanzbericht Bremen“heißen die offiziellen Hochglanz-Faltblätter des Bremer Finanzsenators, in denen die Sanierungspolitik erklärt und erläutert wird. Ganz unspektakulär legte Ulrich Nölle nun den Bericht „1'1997“vor. Thema: „Steuerliche Effekte von Arbeitsplätzen und Einwohnern“. Der Inhalt wird brisant, wenn man die Studie mit dem „Finanzbericht 5'1996“vergleicht. Dort nämlich war das Zahlenwerk ausgebreitet worden, daß Bremen mit jedem Arbeitsplatz, der ins Umland abwandert, nur 1.000 Mark Steuereinnahmen im Jahr verliert, aber 5.500 Mark mit jedem Einwohner.

Der Unterschied liegt in den Schlußfolgerungen, die aus demselben Zahlenwerk gezogen werden. Der Finanzbericht 5'96: „Dies bedeutet, daß die Realisierung der Zielsetzung des Sanierungsprogramms zu einer Erhöhung der bremischen Einwohnerzahl um rund 55.000 auf 735.000 führen muß“, 40.000 neue zusätzliche Arbeitsplätze müßten dafür geschaffen werden. Und: „Konsequenzen für nahezu alle Aufgabenbereiche der öffentlichen Hand“seien einzuplanen. Nölle erklärte schriftlich und ausdrücklich: „Nach Auffassung des Senators für Finanzen ist es dringend notwendig, in Bremen zu verantwortende Entscheidungen an diesen Wachstumszielen zu orientieren“: 260 Hektar Gewerbeflächen, 25.000 Wohnungen, „flankierende Infrastruktur“nannte der Finanzbericht. Im Ergebnis sollte Bremen dadurch um „350 Millionen jährlich“an originärer Steuerkraft wachsen.

Alle westdeutschen Großstädte verzeichnen allerdings seit 20 Jahren Stagnation oder leichte Abnahmen ihrer Bevölkerungszahlen. In Bremen ist das nicht anders. Auch Bremens Steuerprognose für die kommenden Jahre geht von stagnierenden Bevölkerungszahlen aus. Schulplanung, CO2-Prognose, Kita-Bauprogramm – nirgends nimmt die bremische Verwaltung dieses Wachstumsszenario ernst.

Der Finanzsenator hat in der bremischen Landespolitik niemanden gefunden, der bereit gewesen wäre, die Infrastruktur Bremens „an diesen Wachstumszielen“für 55.000 zusätzliche Einwohner zu planen. Mit dem neuen „Finanzbericht“verabschiedet sich das Ressort selbst nun klammheimlich von seinen Phantasie-Zahlen.

Stattdessen zieht der neue Bericht aus denselben Zahlen ganz andere Konsequenzen: Bremen und die niedersächsischen Gemeinden sollten kooperieren. „Eigentlich müßten beide Länder ein gemeinsames Interesse an der Stärkung des Oberzentrums Bremen haben“, heißt es da. Denn wenn ein Arbeitsplatz von Bremen ins Umland verlagert wird, gewinnt die Region im Saldo sogar 65 Mark, rechnen die Finanzfachleute im Detail vor. Nur wenn ein Einwohner sich aus Bremen abmeldet und ganz aus der Region verschwindet, wird das teuer: 7.000 Mark. „Die theoretische Schlußfolgerung wäre eine verstärkte Kooperation“Bremens mit Niedersachsen. K.W.

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