„Im EU-Aktionsprogramm stehen tolle Sachen“

■ Dagmar Roth-Behrendt (SPD), Europaabgeordnete und Mitglied im Ausschuß für die Rechte der Frau, über Anspruch und Wirklichkeit in den Gremien der Europäischen Union

taz: Gibt es Grund, die Frauenpolitik der EU zu feiern?

Dagmar Roth-Behrendt: Die EU kann zumindest stolz auf sie sein. Denn vor dem Hintergrund, daß im Vertrag die Rechtsgrundlage dafür fehlt, war manches, was in punkto Chancengleichheit passiert ist, für viele Länder schon fast eine Revolution. Zum Beispiel für Großbritannien oder Portugal der Mutterschafts- bzw. Familienurlaub mit Anspruch auf Lohnfortzahlung und Erhalt des Arbeitsplatzes. Oder die Aktionsprogramme: Da stehen tolle Sachen drin. Natürlich bleiben sie unverbindlich, wenn daraus keine Gesetze werden. Darum müssen wir dafür eine Rechtsgrundlage im Vertrag schaffen. In Vorbereitung für die derzeit laufende Verhandlung zur Reform des Maastricht- Vertrags haben die EU-Staaten, aber auch die Vertreter des Europaparlaments ja gesagt, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung und Chancengleichheit fest im Vertrag verankert werden müsse.

Wie stehen dafür die Chancen?

Ich halte das nicht für unmöglich. Denn dieses Thema ist nicht so kontrovers wie die Steuergesetzgebung oder die Umweltgesetzgebung. Dort gibt es viel Widerstand, weil viele Angst haben, daß es zu teuer wird oder daß sie überstimmt werden könnten. Deswegen sind sie auf Nebenschauplätzen, wie bei der Chancengleichheit, durchaus zu Zugeständnissen bereit, damit sie wenigstens ein paar Erfolge vorlegen können.

Wie könnten diese aussehen?

Man könnte eine Vertragsklausel formulieren, die besagt, daß alle Gesetzgebungskompetenzen zur Chancengleichheit bei der Europäischen Kommission liegen. Ich könnte mir auch vorstellen, daß man die Politik der Chancengleichheit in den Sozialteil des EG- Vertrags aufnimmt. Oder man macht eine Neuformulierung dahingehend, daß das spezifische Ziel der Lohngleichheit die Rechtsgrundlage für Gleichbehandlung und rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen auf allen gesellschaftlichen Gebieten ist. Ein Vertrag ist ja, ähnlich wie eine Verfassung, kein Gesetz, sondern hat einen generellen Anspruch. Vorstellbar ist auch eine Klausel, die jede Diskriminierung aufgrund von Geschlechtszugehörigkeit verbietet und Möglichkeiten zur Klage einräumt.

Der EU wird auch von Kritikerinnen immer wieder bescheinigt, in Sachen Gleichstellungspolitik oft fortschrittlicher zu sein als die meisten ihrer Mitgliedsstaaten.

Das stimmt, aber das ist auch einfach. Nehmen wir das Beispiel Umkehr der Beweislast. Das heißt, nicht die Betroffene muß eine Diskriminierung nachweisen. Vielmehr hat der Beschuldigte sein Handeln zu begründen. Ich kenne kein einziges Mitgliedsland, in dem Frauenpolitik oben auf der Prioritätenliste der politischen Agenda steht. In Zeiten dramatisch wachsender Erwerbslosigkeit fallen „weiche“ Politikfelder hinten runter. Dieses Rollback spüre ich auch in der Umweltpolitik. Interview: Ulrike Helwerth