"Erschüttert über die Verwüstungen"

■ Ismail Kosan und Hartwig Berger von der Fraktion der Berliner Bündnisgrünen über die Situation in Bosnien-Herzegowina

Ismail Kosan und Hartwig Berger waren eine Woche in Bosnien- Herzegowina, um sich über die Situation der abgeschobenen und rückkehrwilligen Flüchtlinge zu informieren. Sie besuchten Tuzla, Sarajevo, Mostar und Bihać, Bijeljina in der Republik Srpska und sprachen mit Politikern und Vertretern von Hilfsorganisationen.

taz: Welche Eindrücke haben Sie in Bosnien gesammelt?

Hartwig Berger: Ich bin erschüttert über die Verwüstungen, die dieser Krieg angerichtet hat. Die Dörfer sind noch sehr zerstört, in den Städten sind viele Häuser kaputtgeschossen. Die Flüchtlinge drängen sich in den wenigen Wohnungen. Wir hörten schreckliche Geschichten über Vertreibungen.

Innenminister Kanther (CDU) hat angekündigt, 100.000 in diesem Jahr zurückzuführen oder abzuschieben. Ist das möglich?

Ismail Kosan: Es wird ihm nur dann gelingen, wenn er die Menschen ganz brutal abschiebt. Eine Rückkehr ist erst einmal unmöglich, weil die Flüchtlinge in Bosnien keine Unterkunft und Arbeit finden werden.

Berger: Das liegt daran, daß das Land voller Binnenflüchtlinge ist. Viele Städte haben jetzt mehr Einwohner als vor dem Krieg, aber weitaus weniger Wohnraum. Kämen neue Flüchtlinge hinzu, würden entweder die Abgeschobenen oder die jetzt schon dort lebenden Menschen in die Obdachlosigkeit gedrängt.

Wie reagieren bosnische Politiker auf die Abschiebungen?

Kosan: Der stellvertretende Flüchtlingsminister Jusuf Borovać hat nicht von Abschiebungen gesprochen, sondern von Deportationen. Das sagt schon einiges. Aus diplomatischen Gründen müssen sie die Abschiebungen natürlich befürworten.

Berger: Die weitsichtigeren unter den bosnischen Politikern sehen, daß sich Innenminister Kanther zum Handlanger der kroatischen und serbischen Faschisten macht, deren Ziel es immer war, die Muslime zu vertreiben und in Zentralbosnien zusammenzupferchen.

Und genau das passiert, wenn Muslime jetzt abgeschoben werden.

Wie könnte eine humane Rückführung aussehen?

Kosan: Es darf keine Rückführung oder Abschiebung ohne Wiederaufbauprogramme geben. In Bosnien gibt sehr qualifizierte Kräfte, die in kurzer Zeit zerstörte Häuser instandsetzen können. Man sollte mit diesen Menschen an Ort und Stelle personengebunden kooperieren, ohne bürokratische Hürden.

Berger: Die Herrichtung eines Hauses kostet zwischen 6.000 und 10.000 Mark. Das sind einige Monate Sozialhilfe, die in Deutschland an Flüchtlinge gezahlt werden. Wenn den Menschen entsprechende Angebote gemacht werden, von Gemeinden, in denen sie gelebt haben, dann werden sie auch zurückkehren wollen.

Haben Sie über Projekte zwischen Berlin und Bosnien gesprochen, die eine Rückkehr erleichtern könnten?

Berger: Die Wasserversorgung im östlichen Teil Mostars ist katastrophal. Es gibt nur drei Pumpen, und das Leitungssystem ist undicht. Ich werde mich dafür einsetzen, daß die Berliner Wasserbetriebe dort beim Wiederaufbau helfen. Interview: Julia Naumann