: Erlebniswelt am Point of Sale
■ P.O.S., ein Kieler Privatradio, beschallt mit Seichtfunk und Werbebotschaften annähernd 6.000 deutsche Supermärkte
„Ladenfunk“ ist tot, es lebe „Instore-Radio“. Ob das Gemüse im Supermarkt frischer geworden ist oder das Katzenfutter schmackhafter, sei dahingestellt – die Werbung jedenfalls hat neue Wege gefunden, die Markenwelt näher ins Kundenbewußtsein zu rücken, und zwar direkt im Point of Sale, also dort, wo gekauft wird. Deshalb nennt sich Deutschlands erfolgreichstes Supermarkt-Radio, das freilich kaum einer mit Namen kennt, auch P.O.S.-Radio. Vorbei die Zeiten, als die Filialleiter in Deutschlands Lebensmittelgeschäften und Einkaufsmärkten die Kassetten mit den Endlosschleifen verhackstückter Potpourri-Schlager stoppten, um sich mit der Kundenmitteilung hinters Mikro zu klemmen: „Unser Fleischermeister empfiehlt heute...“
Der Klangteppich, den P.O.S Radio in fast 6.000 Supermärkten ausbreitet – ob in Konstanz, Berlin oder Dresden – kommt aus Kiel. Dort hat sich P.O.S. 1991 etabliert und sich mittlerweile zum Marktführer entwickelt, wenn es darum geht, Supermärkte, Gartencenter, Baumärkte strategisch ausgeklügelt zu beschallen. Laut Infratest hören pro Stunde 688.000, am Samstag sogar 950.000 Verbraucher das Programm; ob sie hinhören, ist eine andere Frage.
Die Gesellschaft für Konsumforschung meint, ja: Durch die Easy listening-Klänge – der Sender bietet ein Vollprogramm, solange der Laden geöffnet ist –, unterbrochen von TV-Tips, bunten Meldungen „aus der Welt der oberen Zehntausend“ und Wetterbericht sowie natürlich penibel gestaffelten Werbebotschaften, sei der „Abverkauf“ um 28 Prozent gestiegen. Eine „Erlebniswelt am Point of sale“ will man schaffen, denn wer was erlebt, bleibt länger als die durchschnittlichen 20 Minuten im Laden und kauft mehr – 61 Prozent der Kaufentscheidungen fallen vor Ort.
Wie klemmt man den Kunden nun akustisch zwischen den Regalen ein? Zielgruppengerecht. Wenn in aller Frühe die Rentner einkaufen, „trauen wir uns auch mal, einen deutschen Schlager zu spielen“, sagt P.O.S.-Werbezeitenverkäufer Sven Klabundt; zur ersten Prime Time (10-12 Uhr), wenn vor allem die 30-39jährigen in den Markt strömen, wird die Musik flotter: das Schlager-Segment wird von 35 auf zehn Prozent reduziert; bei Schulschluß sieht die Formatuhr auch mal „hot“ vor. Und zur zweiten Prime Time (16-18 Uhr) werden Hits ins Programm genommen. Denn jetzt ist der Kunde von der Arbeit abgespannt und dürstet nach Entspannung, Oldies und Chansons sollen dabei helfen.
„Wir reden im Radio nicht unbedingt über den BSE-Skandal oder ein Bombenattentat in Palästina“, sagt Klabundt. Warum sollte aber ein Markenartikler nicht in einem x-beliebigen Dudelfunk einen Werbeblock schalten? Weil er keine Konkurrenz fürchten muß, so Klabundt. Ob bei Edeka, Spar, Karstadt, Massa oder Metro – per Satellit Eutelsat wird das Einkaufsradio in jeden Markt gelenkt, dessen spot selector – eine auf dem Dach installierte Empfangsvorrichtung – erkannt hat: das Programm ist für mich bestimmt.
Kein Werbespot, der sich etwa in einen Markt verirrte, der das angepriesene Produkt gar nicht führt. Keiner, der in ein anrüchiges redaktionelles Umfeld eingebettet wäre oder dem bald der Spot der Konkurrenz auf den Fersen folgte. Sich ins stets gemachte, blitzsaubere P.O.S.-Programmbett zu legen, kostet natürlich etwas mehr: Einen Spot vier Wochen lang bundesweit in einem Großmarkt zu schalten, schlägt mit bis zu 600.000 Mark zu Buche – je nach Rabatt und Listung, das heißt, ob jeder beschallte Markt das Produkt auch führt.
Damit nicht genug. Weil „warten aggressiv macht“, brauche es weitere Abwechslung im Laden – als „Wartezonen-Medium“, so Klabundt. Am 1. Mai startet deshalb P.O.S. TV. In zehn Real- Märkten verfolgen den Kunden dann Monitore mit Produktabbildungen und, alle zwei bis drei Minuten, bewegten Bildern.
Daß sich P.O.S., erst einmal installiert, nicht entkommen läßt, wissen auch die Filialleiter und nutzen das Radio zur Mitarbeitermotivation. „Edeka grüßt Frau Erika Mustermann in der Filiale auf Westerland“, tönt es zum Beispiel schon vor Ladenöffnung den Mitarbeitern entgegen. Philippika werden allerdings nicht versendet. Und, dafür sorgt der spot selector, die motivationssteigernden Grüße kommen nur in den Filialen an, die es betrifft.
Der suggestiven Penetranz von P.O.S. läßt sich nicht entkommen? Ein Besuch in Discountern wie „Aldi“ oder „Penny“ beweist das Gegenteil. „Die vermeiden alle Kosten und haben ja nicht mal Regale“, sagt Sven Klabundt. Ob P.O.S denn schon Vorstöße gemacht habe, ins laut- und regallose Billig-Segment vorzustoßen? „Das ist aussichtslos. Da haben wir gar kein Interesse.“ Alexander Musik
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