Teller waschen statt Mathe lehren

Westwärts ins Glück? Osteuropäische Migrantinnen haben in Hamburg einen schweren Berufsstart, bei vielen machen sich Desillusion und Frust breit  ■ Von Lisa Schönemann

„Du hast hier keine Chance.“Das ist die Botschaft, mit der viele Osteuropäerinnen in Hamburg empfangen werden. Je bunter die Träume im Reisegepäck, desto bitterer ist die Ernüchterung, „allenfalls als Putzfrau oder Tellerwäscherin gebraucht zu werden“, beschreibt die Elektroingenieurin Teresa Lemke aus Polen. Für viele Frauen sei der berufliche Abstieg ein Schock. Die Immigration erfordere enorme Stärke, prophezeit die energische Mittvierzigerin: „Die Schwachen bleiben sitzen und trinken Alkohol.“

Auf einer vom Büro des Ausländerbeauftragten ausgerichteten Tagung haben die Teilnehmerinnen aus Osteuropa beschlossen, sich zu organisieren. „Wir sind hier“, lautete das Motto der Konferenz. Die Frauen aus Polen, Rußland und Bulgarien oder anderen osteuropäischen Staaten wollen die Startchancen für Migrantinnen verbessern. „Anstelle der untereinander zerstrittenen polnischen oder anderen Clubs brauchen wir eine Lobby, die uns in der Politik und gegenüber den Behörden vertritt“, so die Elektroingenieurin Lemke. Existierende Beratungs- und Bildungsangebote können vielfach von den Osteuropäerinnen nicht genutzt werden, weil die berufsbezogenen Informationen sie nicht erreichen.

„Deutschland war wie ein Märchen für mich, so sauber und so viele Blumen“, erinnert sich Jelena Faktorovich, die St. Petersburg vor fünf Monaten verlassen hat. Inzwischen ahnt die russische Mathematiklehrerin, daß der trügerische Schein vor allem auf das Konto der ausländischen Reinigungskräfte geht. Faktorovich versucht, dem „deutschen Anspruch nach perfekter Sprachbeherrschung“gerecht zu werden und überdenkt jedes Wort zweimal, bevor sie es ausspricht. Die Angst, von den Einheimischen „für doof gehalten“zu werden, läßt sie nur stockend erzählen: Niemand glaube noch an das „Glück im Westen oder an den Traummann“. Schöne Kleider und eine luxuriöse Wohnung spielten längst keine Rolle mehr. Die Frauen suchen lediglich eine adäquate Beschäftigung. Doch ihre Berufserfahrung bleibt oft ungenutzt. Auf dem Arbeitsamt bekommen sie zu hören, eine Umschulung könne nicht finanziert werden. „Alle haben Streß und Depressionen“– es fällt der Russin nicht leicht einzuräumen, daß viele Einwanderinnen psychologische Unterstützung bräuchten.

Für Faktorovich gibt es kaum eine Möglichkeit, nach Rußland zurückzukehren. Sie hat zuletzt bei einem Kulturveranstalter gearbeitet und ein Jahr lang keinen Lohn erhalten. Die Rücklagen der vierköpfigen Familie waren aufgebraucht. In Deutschland will sie „auf keinen Fall“auf Sozialhilfe angewiesen sein.

Das wollte die Polin Barbara Schützmann aus Stettin auch nicht. Sie brachte 15 Jahre Berufserfahrung mit nach Deutschland. Nach dem obligatorischen Sprachkurs geriet sie trotz einer ergatterten Umschulung in eine Sackgasse. „Sobald die Arbeitgeber den ersten Satz von mir hörten, gingen sie auf Distanz“, erinnert sich die Polin. Niemand wollte ihr eine Chance geben, zu zeigen, was sie gelernt hatte. Später bekam sie eine Stelle beim Arbeitsamt, doch da fing der Alptraum erst an. „Die Kolleginnen haben mit mir als Ausländerin kein Wort gesprochen“, erinnert sich die Polin. Früher oder später rede man sich dann ein, daß man schlechter sei als andere. Die Verwaltungsfachfrau ließ sich versetzen. In der neuen Abteilung kommt sie problemlos zurecht.

Nicht nur für osteuropäische Migrantinnen ist es schwer, die sprachlichen, bürokratischen und soziokulturellen Hürden zu nehmen. „Wie soll ich die neue Sprache in meinen Kopf hineinbekommen?“fragt Galina Futorjanski, die auf der Tagung des Ausländerbeauftragten die Frauen aus Kasachstan vertrat. Die Osteuropäerinnen müßten sich neben dem Sprachkurs auch um ihre resignierten Männer und die Alten kümmern, die zu Hause von früh bis spät auf den Höfen gearbeitet haben und in Deutschland plötzlich tatenlos dasitzen. „Wir Frauen haben alle Hände voll zu tun, das Klima in den Familien zu retten“, so Futorjanski. „Nach unserem Gefühl hat noch nie jemand gefragt. Wir waren schon in Rußland Arbeitsmaschinen, die Kinder erziehen und dem Mann dienen sollten.“

Zusammenschluß osteuropäischer Frauen, über das Büro des Ausländerbeauftragten, % 2984-2088, oder über Renata Reinhardt % 4140-2327