Jugend '97 nach Wunsch des Kunden

■ „Voll okay sein“ kann auch heißen, alte Sekundärtugenden neu zu entdecken

Es ist mal wieder soweit. Eine Reihe von Studien fördert im wesentlichen das eine, altbekannte Resultat zutage: daß es die Jugend sowieso schon mal nicht mehr gibt und daß das Gros der jungen Generation aus völlig durchschnittlichen Mitläufern besteht, die auch nicht mehr zu verkaufen haben als die Stinos anderer Altersklassen. Warnfried Dettling erklärt in der Zeit, warum das auffälligste Merkmal dieser Jugend gerade ihre völlige Unscheinbarkeit ist. Die einzige signifikante Abweichung zwischen Ost- und Westjugend sei, daß im Osten 70 Prozent den Grundsatz „Sich durchsetzen“ für wichtig halten, während es im Westen 52 sind – was nur das eine bezeugt, worauf Dettling aber nicht kommt: daß man im Osten das Heucheln noch nicht so beherrscht wie im Westen.

Gerade die völlige Gestaltlosigkeit der Generation zwischen fünfzehn und dreißig bietet allen Interessierten Gelegenheit, hineinzuprojizieren, was gerade eben so hineingeht. Die Institute Forsa, Emnid, und wie sie alle heißen, liefern „Jugend '97“ prompt auf Bestellung und immer ganz nach den Wünschen des Kunden. Im Greenpeace-Magazin heißen sie „Die Desillusionierten“, „Die Kratzbürstigen“ oder „Die Umwelt-Engagierten“. Der „Generation X“- Mythos inne Sprach' von Greenpeace geht so: „Die Mehrheit fürchtet, daß ihre Eltern ihnen unlösbare Probleme hinterläßt – vor allem in Sachen Umwelt.“

Ganz anders liest sich das im von der Bundesregierung herausgegebenen Magazin für Deutschland: „Sie ist frech, fleißig, energisch, direkt – einfach cool. Unsere Jugend '97! Mega-out: grelle Farben, schrille Töne, Grunge. Mega-in: malochen, ackern, pauken, was auf dem Kasten haben, voll okay sein. Wer's nicht glaubt? Ey, Dumpfbacke, dann mach 'ne Fliege.“ Und so weiter. Ein Fußnotenapparat hilft dem durchschnittlichen Magazin für Deutschland- Leser, die sprachliche Kluft zu überbrücken. Der Terminus „Grunge“ wird erklärt als „Schmuddel-Look wie z.B. zerfetzte Jeans“; „voll okay sein“ definiert man dort als „ernsthaft arbeiten“; „Dumpfbacke“ bedeutet laut Magazin für Deutschland „soviel wie früher ,dusseliger Kerl / du Kuh‘“, und „mach 'ne Fliege“ wird erläutert als: „Verschwinde, halt dich raus aus unserer Diskussion – du glaubst mir ja eh nicht!“ Das Fazit der Ranschmeißerei: Die Jugend von heute hat die längst verloren geglaubten Sekundärtugenden voll gefressen. Man will es nicht beschwören, aber es klingt, als habe Frau Nolte höchstpersönlich Hand angelegt. Viel wird ja derzeit über Jugendschutz debattiert. Vergleicht man die in jüngster Zeit erschienenen Artikel unter dem Vorwand „Jugend '97“ kommt man zu dem Schluß, daß die größten Defizite im Bereich des symbolischen und ideologischen Mißbrauchs der amorphen Chiffre „Jugend“ liegen. (Ein komisches Wort übrigens, wenn man es geschrieben sieht.) Holm Friebe (24)