Teilzeit arbeiten, rausekeln im Konsens

Deutschland meldet neue Arbeitslosigkeitsrekorde, die Niederlande ein Beschäftigungswunder – allerdings nicht ohne statistische Tricks und Nebenwirkungen für die Löhne  ■ Aus Amsterdam Falk Madeja

Die Arbeitslosenquote wird vor allem dank Teilzeit- und Zeitvertragsarbeit auf gut sechs Prozent sinken, die Wirtschaft 1997 um drei Prozent wachsen, und die Kriterien für den Euro werden erfüllt: Auch die neueste Studie des Münchener Ifo- Instituts für Wirtschaftsforschung läßt deutsche Politiker wieder sehnsüchtig in die Niederlande blicken. Bernhard Jagoda, Chef der Bundesanstalt für Arbeit, mußte für den Februar immerhin eine Rekordarbeitslosenquote von 12,2 Prozent melden.

Jagoda seufzte denn auch bei seinem Besuch vor einigen Wochen in Den Haag: „Die Niederlande sind uns mit ihrem flexiblen Arbeitsmarkt Meilen voraus. Teilzeitarbeit ist in Deutschland gesellschaftlich nicht akzeptiert, 97 Prozent der kürzer arbeitenden Menschen sind Frauen. Wer tagsüber einkaufen geht, wird schief angesehen.“ Die Arbeitgeber seien genauso starr: „Wenn mehr Arbeit anfällt, dann lassen sie lieber mehr Überstunden machen, statt zeitweilig mehr Personal einzustellen.“ Da ist was dran. Kürzlich meldete die Zeitarbeitsbranche im Nachbarland einen Umsatzzuwachs von 20 Prozent. Insgesamt arbeiten 2,5 Millionen oder 35 Prozent aller arbeitenden Niederländer teilzeit. Aber auch hier sind es vor allem Frauen.

Das Wunder begann Anfang der 80er. Holland war „krank“, so Premier Ruud Lubbers. Er brachte Arbeitgeber und Gewerkschafter an einen Tisch – der damalige Gewerkschaftschef ist heute Premier Wim Kok. Beide Seiten vereinbarten Lohnmäßigung, sozialen Frieden und Initiativen zu mehr Teilzeitarbeit. Das Monopol der Arbeitsämter wurde gebrochen, zahlreiche neue private Arbeitsvermittlungsfirmen nisteten sich in den niederländischen Städten ein. Fortan gab es leicht erreichbare Arbeitsvermittlungsläden in den Fußgängerzonen. Frappierend ist auch das gesellschaftliche Klima in den Niederlanden – es scheint frischer, optimistischer, welt- und zukunftsgewandter als in Deutschland. Noch nie wurde so wenig gestreikt. 1996 legten lediglich 8.000 Menschen die Arbeit nieder, nur in Luxemburg und Dänemark wurde weniger gestreikt. Kein Wunder, daß ausländische Investoren Schlange stehen.

Das Wunder hat Schattenseiten. Das Realeinkommen war Anfang der 70er noch mit das höchste in der EU, heute verdienen Niederländer kaum über EU-Durchschnitt. Das Wirtschaftsblatt Elsevier bezifferte die versteckte Arbeitslosigkeit auf 27,5 Prozent, Fachleute wie der Maastrichter Wirtschaftsökonom Arjen van Witteloostuijn berichten von 2,6 Millionen Sozialhilfeempfängern – 200.000 mehr als 1990. Die Statistiken sind auch nicht sehr glaubwürdig. So zählen die Niederlande rund 900.000 Invalide – jahrelang wurden überschüssige Arbeitskräfte in Absprache mit willigen Medizinern in die (Schein-)Invalidität abgeschoben. Statistisch interessant auch dieses: in den Niederlanden sind im Vergleich zu anderen westlichen Ländern verhältnismäßig viele Frauen an Heim und Herd, insgesamt arbeiten heute dort 44 Prozent aller Frauen, Anfang der 80er waren es nur 30 Prozent.

Manchmal schießt die Regierung im Reformeifer über das Ziel hinaus. So wurde die Lohnfortzahlung „privatisiert“. Die Arbeitgeber müssen bei Krankheit Löhne fortzahlen – in großen Firmen sechs und in kleinen zwei Wochen lang. Die Folge: zahlreiche Arbeitnehmer werden nach Gewerkschaftsangaben aus dem Job geekelt – wer krank ist, fliegt.