Rückkehrer ganz unten

Bosnische Politiker und Inlandsflüchtlinge fürchten die Rückkehrer aus Deutschland  ■ Aus Bosnien Julia Naumann

Hvarti wirkt fast idyllisch: Kaum ein Haus ist in dem 2.000-Seelen-Dorf nordwestlich von Tuzla während des Krieges zerstört worden. Arbeitsplätze gibt es zwar noch nicht genügend, aber die Situation ist besser als in der Industriestadt Tuzla, wo rund zwei Drittel der Menschen keine Beschäftigung mehr haben. Größte Arbeitgeberin in Hvarti ist die multinationale SFOR-Truppe, in der nahe gelegenen Base verdingt sich ein Großteil der Männer und Frauen des Dorfes als Fahrer oder Putzfrau. Doch die Dorfgemeinschaft versucht sich aus der Abhängigkeit der ausländischen Soldaten zu lösen. Deshalb soll die während des Krieges stillgelegte Kokerei umfunktioniert werden: In den feuchten Kohlegruben werden zukünftig Champignons gezüchtet.

Während des Krieges fanden in Hvarti 500 Binnenflüchtlinge in den einfachen Ein- und Zweifamilienhäusern Unterschlupf, obwohl aus dem Dorf selbst niemand geflüchtet ist. Und auch heute ist die Kommune bereit, noch weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Differenzierungen bei der Aufnahme soll es keine geben. Es sei egal, ob Moslems, Kroaten oder Serben kämen, ob die Menschen Abgeschobene oder Binnenflüchtlinge seien, erklärt Bürgermeister Muriz Sakkić: „Bei uns leben alle drei Völker zusammen, Wohnraum ist genug da.“

Hvarti, das sich in den Worten seines Bürgermeisters als „gastfreundlichstes Dorf“ des Kantons anpreist, scheint jedoch ein Einzelfall zu sein. Denn schon einige Kilometer weiter ist kein Platz mehr für Flüchtlinge: In Tuzla mußten bereits 500 freiwillige Rückkehrer aus Deutschland abgewiesen werden. Denn in dem einst wichtigen Standort für Salzgewinnung leben jetzt 50.000 Binnenflüchtlinge aus den serbisch besetzten Gebieten. In der multi-ethnischen Stadt, die offiziell als sicherer Ort für Rückkehrer gilt, ist eine Art Hackordnung entstanden. Die Inlandsflüchtlinge fürchten die Rückkehrer aus dem Ausland, denn diese könnten ihren immer noch wackeligen Status zerstören. Die meisten von ihnen haben nämlich nur noch ein bis zwei Jahre Anrecht auf ihre Wohnungen, die sie nach ihrer Ankunft in Tuzla über das Flüchtlingskommissariat vermittelt bekommen haben. In den Wohnungen hatten vorher diejenigen gewohnt, die aus Tuzla ins Ausland oder in andere Gebiete Bosnien- Herzegowinas flüchteten, rund 20.000. Kämen diese jetzt alle auf einmal zurück, werde es zu einem „Chaos“ kommen, befürchtet der stellvertretende Bürgermeister Jasmin Imamović.

Nicht nur in Tuzla, sondern auch in den serbisch besetzten Gebieten stehen die freiwilligen Rückkehrer und Abgeschobenen in der Gunst der Politiker ganz unten auf der Rangliste. Während die Stadtverwaltung in Tuzla trotz krasser Wohnungsnot wenigstens offiziell bedauert, daß sie keine weiteren Menschen aufnehmen könne, schlägt potentiellen Heimkehrern in Bijeljina offene Feindseligkeit entgegen. Das Städtchen, das in der Republik Srpska liegt, will partout keine Abgeschobenen aufnehmen. Schon gar keine Moslems oder Kroaten, denn diese „paßten“ nicht mehr in die Stadt, sagt Bürgermeister Dragomir Ljubojević ohne Bedauern. In Bijeljina soll nach Willen der Stadtverwaltung der großserbische Traum aufrechterhalten bleiben. In der 120.000-EinwohnerInnen-Stadt lebt heute nur noch eine verschwindend kleine Minderheit von Muslimen. „Sie sind in einer Lage, die nicht beneidenswert ist“, umschreibt Enver Sutković von einer norwegischen Hilfsorganisation vorsichtig die Repressalien. Im Klartext: Arbeitslose Militärs, aber auch „ganz normale“ serbische Einwohner versuchen auch die übriggebliebenen Muslime zu vertreiben, mit Überfällen und Morddrohungen. Die Polizei schaut tatenlos zu. Abgeschobene Muslime – nach Schätzungen sollen allein 8.000 Flüchtlinge aus Bijeljina in Berlin leben – haben überhaupt keine Chance, sich wieder anzusiedeln. Sutkovićs düstere Einschätzung: „Eine Rückkehr für Muslime, egal woher sie kommen, ist und bleibt völlig illusorisch.“

Ähnlich sieht es auch für Heimkehrer in Mostar aus. Durch die ehemals so kosmopolitische Universitätsstadt mit der größten Anzahl „gemischter“ Ehen zieht sich eine unsichtbare Mauer der Feindseligkeit und des Hasses. In West- Mostar, dort leben jetzt fast ausschließlich Kroaten, haben Muslime keine Chance mehr, in ihre Häuser zurückzukehren. Allein im vergangenen Jahr wurden 236 Muslime aus dem kroatischen Teil vertrieben. Auch in den muslimischen Bezirken der größtenteils zerstörten Stadt macht sich Angst vor Übergriffen breit. Kalaschnikows und selbstgebastelte Handgranaten aus Munitionssplittern sind deshalb in den Kellern der Häuser keine Seltenheit mehr. Und noch etwas ist in Mostar besonders stark zu spüren: Sozialneid auf diejenigen, die es während des Krieges geschafft haben zu flüchten und jetzt mit vollbepackten Autos zurückkehren und ihre alte Wohnung zurückfordern.

Eine würdevolle Rückkehr ist für Flüchtlinge anscheinend nur möglich, wenn konkrete Wohn- und Arbeitsprojekte organisiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Ortschaft Odzak nahe am Fluß Sava an der Grenze Kroatiens. Dort sollen bald wieder 264 geflüchtete Familien, Muslime und Kroaten, aus Deutschland leben. Die Namen der Familien sind von Flüchtingsorganisationen aus der gesamten Bundesrepublik zusammengetragen worden. Auf Versammlungen werden die Rückkehrer auf ihre alte Heimat vorbereitet. Mit Spenden (Türen, Fenster und Möbel) sollen die Wohnungen wiederhergerichtet werden. Denn gerade die Aussicht auf eine minimale Ausstattung und ein festes Dach über dem Kopf sei häufig der Anstoß für die Rückkehr gewesen, so Organisator Kemal Fazlagić von der Berliner Bosnien-Hilfe.