„Get your kicks!“

Studentische Urlaubsdias für jedermann: Die mediale Revolution im Amerikahaus  ■ Von Ulrike Winkelmann

Die Cinemaxxe wachsen in den Himmel, Multimedia ist in aller Munde, die Menschheit düst auf der Datenautobahn in den Cyberspace: alles Lüge.

Die mediale Revolution findet in Hamburg nicht statt. Hier trifft sich die Bevölkerung im Uni-Hörsaal oder im Amerikahaus, um sich anderer Leute Urlaubsdias anzugucken. Hunderte von Menschen in GoreTex-Allwetterkleidung und mit Phil-Collins-Fan-Frisur bezahlen regelmäßig bis zu 18 Mark Eintritt für sogenannte Multivisions-Shows, um deren VeranstalterInnen ihren nächsten Trip zu finanzieren. Der führt die Weltenbummler dann nach Norwegen oder Neuseeland, und aus diesen Ländern kehren sie zurück, um einen neuen Schwung von Urlaubsdias in einer Multivisions-Show zu präsentieren. Derlei Geldschneiderei wird von der Bevölkerung klaglos hingenommen: Bar jedes Sozialneids trifft man sich in der Kaffeepause, um miteinander über seine Abenteuerurlaubs-T-Shirts zu fachsimpeln.

Geht das Licht aus im Amerikahaus – dessen Vortragssaal für solche Zwecke angeblich noch ein Jahr zur Verfügung steht – so erweist sich die „Multivision“zumeist als multiphon: Die VeranstalterInnen, regelhaft ein jung verheiratetes Pärchen studentischer Herkunft, lesen im Wechsel vom Blatt ab, was es an unlustigen Geschichten zu den Fotos besser nicht zu sagen gäbe.

Eine Ausnahme bildete der angejährte „Schottland“-Vortrag des Stefan B. Hier bedeutete „Multivision“zwar den Einsatz einer sogenannten Überblendtechnik, die zwischen den Dias immer eine kurze Phase von mildem Pastellgeschimmel auf der Leinwand bewirkte. Dafür mochte Stefan aber nicht vor Menschen zu reden. Deshalb schaltete er den Kassettenrecorder ein, auf den seine Freundin – „die auch mit in Schottland war“– den Text gesprochen hatte. Zum Trost gab's selbstkomponierte Sphärenmusik vom Synthesizer.

Einen weiteren Höhepunkt an technischer Raffinesse boten unlängst Günter G. und Gerlinde S., jung verheiratet und irgendwie studentisch, in ihrer bald vier Jahre alten Dia-Multivision „USA, Route 66 – go West von Chicago nach Los Angeles“(15 Mark Eintritt, Amerikahaus). Im Rhythmus des Refrains eines passenden Songs von Natalie Cole ließen sie eines der Dias flackern: „Get your kicks“– an-aus-an-aus-an-aus – „on Route 66“.

Doch auch die Choreographie des weiteren Abends war fein abgestimmt. Schönere Reisekatalog-Bilder, zum Teil offenbar von der Tourismus-Branche gesponsort, wurden lange gezeigt, normale Reisekatalogbilder wurden hintereinander weggedrückt, um quasi ein Gesamt-Klischee zu erstellen. Zur Untermalung nannten Günter und Gerlinde die Städte, Motels, Bars und Landschaften abwechselnd „faszinierend“oder „wunderschön“. Handelte es sich um den Chicagoer Stadtteil, in dem die Route 66 beginnt, oder verlassene Gaststätten-Betriebe in Oklahoma oder Arizona, an denen die legendäre Straße vorbeiführt, wurde der Begriff „heruntergekommen“gewählt. Der spontanste Beitrag des Abends war, daß Günter seine Frau als „von der schnellen Sorte“bezeichnete.

Ein Gütesiegel der „Gesellschaft der Bildvortragskünstler und -veranstalter“(GBV), die sich schon 1991 gegründet hat, um Qualität und Ordnung auf dem wild wuchernden Dia-Abend-Markt zu gewährleisten, haben Günter und Gerlinde trotzdem nicht. Aber das macht auch nichts, denn, das wußte Gerlinde S. zu berichten, „das Publikum kennt die GBV sowieso nicht“.