Aus den Augen, aus dem Sinn

Zwei Monate nach Beginn der Besetzung ist es still geworden um das Hafenkrankenhaus auf St. Pauli. Haben die BesetzerInnen die Sache vergeigt? Eine Bilanz  ■ Von Lisa Schönemann

Die Fronten sind klar: Auf der einen Seite kämpft die Initiative „Ein Stadtteil steht auf“für ein alternatives Gesundheitszentrum mit Standort Hafenkrankenhaus. Auf der anderen Seite steht der Senat, der sich der Klinik in St.Pauli entledigen möchte und den Streit um den traditionsreichen Zankapfel im Wahljahr so schnell wie möglich aus den Schlagzeilen bringen möchte. Gelegentlich bellt der Krankenhausträger LBK dazwischen, auf dem Gelände könne keine Notfallambulanz betrieben werden, da die Anwesenheit der BesetzerInnen ein unkalkulierbares Risiko darstelle.

Bei genauerem Hinsehen sind die letzten MohikanerInnen weder mit Palästinensertüchern noch mit Molotowcocktails ausgerüstet. Stattdessen bemüht sich der harte Kern der UnterstützerInnen mit Fax, Handies und Internetseite nicht in der nachrichtlichen Versenkung zu verschwinden. Ihre „Zentrale“auf Station D im Erdgeschoß eines Krankenhausflügels am Zirkusweg ist rund um die Uhr besetzt, obwohl einige tagsüber jobben und andere nachts nach Hause gehen. Dennoch herrscht weitgehend Funkstille.

Die BesetzerInnen kommen mit ihrer Lieblingsidee, einem Gesundheitszentrum im wieder zum Leben erweckten Hafenkrankenhaus, nicht recht voran. Dort sollen Zukurzgekommene wie Obdachlose, Drogenabhängige oder ältere Menschen eine neue Anlaufstelle erhalten. Bisher haben lediglich drei potentielle Träger ihre Pläne für Einrichtungen im Gesundheitszentrum vorgestellt. Bei der Gesamtstruktur liegt aber noch einiges im Argen. Die Finanzierung ist noch ebenso unklar wie Rechtsform ( Genossenschaft, öffentlich rechtliche Anstalt oder gemeinnützige GmbH). Stattdessen wird verhandelt, geplant und wieder verworfen.

Da treffen sich die BesetzerInnen nach nächtelangen Plena mit dem LBK und einer Abordnung der Stadtentwicklungsbehörde in kleiner Runde, um über den ersten Meilenstein zu streiten: Die Wiedereröffnung der Kiez-Notfallambulanz, die zu Beginn der Besetzung geschlossen worden war. Hinterher lesen sich die Statements beider Seiten wie Grüße von einer Kaffeefahrt: Man habe in angenehmer Atmosphäre miteinander gesprochen. Ergebnis: Null.

Die Initiative hat die geschrumpfte Ambulanz nach einer glücklosen SPD-Gesundheitssenatorin benannt. Der „Helgrit Fischer-Menzel-Verbandsplatz“in der Geisterklinik wird vom Feuerwehrnotarztwagen nicht angefahren werden, weil dort nur kleinere Verletzungen versorgt werden können. Daß der Friedensprozeß in diesem Punkt zumindest in Gang gekommen ist, zeigt die Zuversicht des LBK-Sprechers. „Unsere Leute stehen auf Abruf bereit“, sagt Siegmar Eligehausen über das 30köpfige Team aus dem AK St. Georg. Auch die Stadtentwicklungsbehörde soll dem Krankenhausträger unmißverständlich zu verstehen gegeben haben, nicht bei diesem ersten Unterpunkt des Verhandlungsmarathons gleich querzuschießen.

Unterdessen lachen sich die Krankenkassen ins Fäustchen, die sich gern aus der Finanzierung der Ambulanz zurückziehen würden. Jeder Tag, an dem die Notfalleinrichtung geschlossen bleibt, spart Geld und zeigt: Keine nennenswerten Engpässe. Es geht auch ohne den Standort Hafenkrankenhaus.

Dem widersprechen die niedergelassenen ÄrztInnen aus dem Viertel und den angrenzenden Stadtteilen vehement. Sie haben Vorfälle von PatientInnen wie einem suizidalen Alkoholiker dokumentiert, die in anderen Krankenhäusern abgewiesen wurden. Auch eine drogenabhängige Patientin mit einer schweren Infektion fand erst nach Intervention ihres Hausarztes Aufnahme in einer Klinik. Beide sind inzwischen verstorben.

Das nach Beginn der Besetzung vor zwei Monaten vom Senat eiligst herbeigezauberte „Forum St. Pauli“, zu dem Stadtchef Henning Voscherau seinen hafenstraßenverhandlungserprobten Senator Thomas Mirow (SPD) gesandt hat, steigt am 10. April wieder in den Ring. Dabei ist der Ärger programmiert: Während die BesetzerInnen den Runden Tisch in der Patriotischen Gesellschaft für das Sprungbrett in die gesundheitspolitische Zukunft des Kiezes halten, wird in der Stadtentwicklungsbehörde (STEB) über die Umgestaltung des Spielbudenplatzes nachgedacht. Dem Vorschlag der Initiative, für das Gesundheitszentrum mindestens 163 Hafenkrankenhausbetten zu erhalten, werden nicht eben große Chancen eingeräumt. Andererseits stößt der STEB-Vorschlag, auf dem Gelände am Zirkusweg 200 Altenwohnungen zu bauen, bei den UnterstützerInnen auf wenig Gegenliebe. Außerdem auf der Tagesordnung: Stadtteilbegrünung und eine Befriedung der Paul-Roosen-Straße. STEB-Sprecher Bernd Meyer gibt sich optimistisch: „Eine Verhandlungsmasse ist da.“