Ein Stich ins Herz der Opposition

Der iranische Regimekritiker Ebrahim Zalzadeh wurde ermordet. Seine Familie glaubt an eine Tat des Geheimdienstes. Die Zahl der Hinrichtungen Andersdenkender hat zugenommen  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Für seinen in Deutschland lebenden Bruder besteht kein Zweifel: Der iranische Regimekritiker Ebrahim Zalzadeh (49) wurde „hingerichtet“, die Henker sind Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes. Am Sonntag hatte ein Freund Zalzadehs in Teheran erfahren, der Verleger und Journalist liege im Leichenschauhaus. Er sei Opfer eines Überfalls geworden. Der oder die Täter hätten ihr Opfer mit mehreren Messerstichen ins Herz getötet.

Zum letzten Mal gesehen wurde Ebrahim Zalzadeh am 22. Februar in Teheran. Er verließ sein Büro, um mit dem Auto nach Hause zu seiner Frau zu fahren. Doch da kam er nie an. Vier Tage später wurde das Auto gefunden, darin lagen Zalzadehs Presseausweis und ein Strauß verwelkter Blumen.

Zalzadehs Familie vermutete den Dissidenten in den Händen des Geheimdienstes, denn dort hatte er eine dicke Akte. Er war Chefredakteur des kritischen Monatsmagazins für Literatur Mejar und Direktor des Verlages „Ebtekar“, der unter anderem die Werke von Ahmad Schamlu veröffentlichte, einem der bekanntesten zeitgenössischen Literaten Irans und Kritiker der Verhältnisse in der Islamischen Republik. In zahlreichen offenen Briefen hatte sich Zalzadeh für unterdrückte und verfolgte Schriftsteller eingesetzt, darunter auch für den Anfang des Jahres erneut verhafteten Faradsch Sarkuhi. Und Zalzadehs Name stand unter der „Erklärung der 134“, einem im Oktober 1994 veröffentlichtem Schriftstellerappell für Meinungs- und Publikationsfreiheit.

Diese Aktivitäten seien iranischen Geheimdienstlern ein solcher Dorn im Auge gewesen, daß sie Ebrahim Zalzadeh umgebracht hätten, glaubt sein Bruder. Bereits mehrmals sei der Regimegegner verhaftet worden. Bei einem seiner letzten Verhöre habe er zu hören bekommen: „Unsere Geduld ist am Ende.“

Gestützt würde die These vom Politmord auch durch Ungereimtheiten in den Erklärungen der iranischen Behörden. Am Sonntag bekam ein Freund Zalzadehs bei der Gerichtsmedizin nur ein Foto des Toten zu sehen. Die Leiche sei vor über einem Monat in einem unbewohnten Gebiet außerhalb Teherans entdeckt worden, 30 Kilometer vom Fundort des Wagens entfernt. Dann sei sie im Kühlraum der Gerichtsmedizin gelagert worden und – weil sich kein Angehöriger gemeldet habe – schließlich beerdigt worden. Dabei hatten Zalzadehs Angehörige nach dessen Verschwinden eine fieberhafte Suche gestartet, Behörden, Gefängnisse, Krankenhäuser und auch Leichenhallen abgeklappert – überall hatten sie zu hören bekommen, von Ebrahim Zalzadeh gebe es keine Spur. Vorgestern konnte dann die Leiche überraschend doch identifiziert werden. Man habe zwei Nummern verwechselt, lautete die Begründung der Gerichtsmedizin, unter der Erde liege jemand anders.

Auch der iranische Schriftstellerverband im Exil geht davon aus, daß Zalzadehs Tod auf das Konto des iranischen Geheimdienstes geht. Die iranische Führung braucche „immer neues Blut“, heißt es in einer Erklärung. Es sei kein Ende von „Folter, Terror und Hinrichtungen von Dissidenten“ in Sicht.

Tatsächlich hat die Verfolgung politisch Andersdenkender im Iran in den letzten Monaten noch zugenommen. Die Zahl der Hinrichtungen habe sich 1996 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, heißt es in einem gestern vorgestellten Bericht des UN-Sonderberichterstatters über die Situation der Menschenrechte im Iran, Maurice Copithorne.

Nach Angaben der Internationalen Liga für Menschenrechte drangsalieren die iranischen Behörden in letzter Zeit verstärkt ehemalige politische Gefangene, die ihre Haftzeit längst abgesessen haben. Sie würden „vorgeladen, um erneut verhört zu werden“. Unter „gezielten Drohungen und Psychofolter“ werde ihnen dabei nahegelegt, „mit dem Informationsministerium zusammenzuarbeiten“. Im Februar seien zwölf seit 1995 inhaftierte politische Gefangene hingerichtet worden.

Eine vor wenigen Wochen nach Deutschland geflohene iranische Oppositionelle bestätigte diese Angaben. Wegen ihrer Sympathien für die „Volksfedajin-Minderheit“ habe sie von 1983 bis 1993 im Gefängnis gesessen, erklärte sie gegenüber der taz. Bei ihrer Entlassung habe man ihr gesagt: „Wir können dich jederzeit wieder abholen“, dann drohe ihr die „Höchststrafe“. Ende vergangenen Jahres seien dann zweimal Geheimdienstler bei ihrer Familie erschienen, um sie vorzuladen. Sie sei abgetaucht und geflohen.

Dieses Schicksal teilt sie mit Hunderten Iranern, die in den letzten Monaten der Islamischen Republik den Rücken gekehrt haben. Darunter auch solche, die bisher erklärten, bis zuletzt auszuhalten. So Huschang Golschiri. Er galt als prominentester im Iran lebender Literat. Ebenso wie Ebrahim Zalzadeh und Faradsch Sarkuhi gehörte er zu jenen Kritikern, die im Iran einen freien Schriftstellerverband aufbauen wollten. Am Sonntag landete Golschiri in Amsterdam. Freunde haben für ihn ein Stipendium der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung beantragt.