Wir brauchen Gleichstellung statt Separatismus

■ Das Konzept des „affidamento“ ist für die politische Praxis untauglich, patriarchale Strukturen können damit mittelfristig nicht aufgebrochen werden

Die bisherigen Ergebnisse der Gleichstellungspolitik bleiben möglicherweise hinter den Erwartungen zurück. Aber: Das muß aus meiner Sicht nicht bedeuten, daß das Instrumentarium komplett falsch ist. Es bedarf sicherlich der Ergänzung durch Sanktionen und präziser Zielvorgaben, es bedarf der rechtlichen Schärfung und der politischen Unterfütterung – keine Frage. Daß darauf nicht zu verzichten ist, will ich am Beispiel der Technischen Universität Berlin illustrieren, einem Beispiel, das vielleicht nicht für alle Institutionen typisch ist, meines Erachtens jedoch die Hochschullandschaft treffend beschreibt: Hochschulen sind traditionelle Männerbastionen mit festgefügten hierarchischen Strukturen und einer ausgeprägten elitären Dünkelhaftigkeit ihrer Repräsentanten. Laut Hochschulrahmengesetz verfügen die Professoren (an der TU 94 Prozent) über die Mehrheit in allen Gremien, sind in Sachen Freiheit von Forschung und Lehre grundrechtlich abgesichert und in der bevorzugten Situation, per Kooptationssystem selbst zu bestimmen, wen sie an ihrer Seite in ihrer Institution – entweder als Schüler oder als Nachfolger – haben wollen. Demzufolge sind in der TU noch immer mehr als die Hälfte aller Fachbereiche (die naturwissenschaftlichen und technischen) auf der professoralen Ebene „frauenfrei“, im wissenschaftlichen Mittelbau beträgt der Frauenanteil durchschnittlich 30 Prozent, und bei den weiblichen Studierenden reicht das Spektrum von 6,7 Prozent in Elektrotechnik, 8 Prozent im Maschinenbau über 15 Prozent in der Informatik bis zu 70 Prozent in Germanistik beziehungsweise Erziehungswissenschaften.

Ohne eine konkrete Förderung von Frauen für Frauen, ohne gezielte Programme zur Förderung und Unterstützung von Frauen und ihren legitimen Interessen, wird sich dieses Bild meines Erachtens so schnell nicht ändern.

Selbstverständlich wurde diese als „Verstaatlichung der Frauenfrage“ begriffene Politik immer kritisch begleitet und in ihrer Wirksamkeit bezweifelt – zum Beispiel von Frauen der autonomen Frauenbewegung, später auch von Migrantinnen und Frauen aus Ländern der südlichen Hemisphäre. Ihre Kritik richtete sich zum Teil zu Recht auf die bürgerlichen, eurozentristischen Inhalte einer solchen Gleichstellungspolitik, die keinen tatsächlichen Beitrag zur Statusverbesserung von Frauen leisten könne. Es handele sich bei diesen Gleichstellungsstellen eher um „Alibistellen“, um geradezu willkommene Einrichtungen zur Modernisierung des in die Krise geratenen Wohlfahrtsstaates, mit denen die patriarchalen Strukturen männerdominierter Institutionen verschleiert würden.

Noch einen Schritt weiter gingen Ende der 80er Jahre französische und italienische Feministinnen der „Differenztheorie“ und das „affidamento“, welche die Gleichstellungspolitikerinnen gar als „Steigbügelhalterinnen des Patriarchats“ denunzierten. Aus dieser Richtung stammt auch der Artikel von Alessandra Bocchetti, einer Autorin aus dem Umfeld des Mailänder Frauenbuchladens. Aus meiner Sicht sind bei seiner Bewertung der analytische Ansatz und das politische Konzept auseinanderzuhalten, weil das eine als Denkmodell interessant ist, während das andere mir als nicht realisierbar erscheint. Das Konzept des „affidamento“, was soviel wie Anvertrauen heißt, geht auf die Theorie der französischen Philosophin Luce Irigaray und deren Appell zurück, die „symbolische Ordnung“ durch das „Einschreiben der sexuellen Differenz“ zu revolutionieren. Die Gesellschaftsanalyse, deren Basis die „fundamentale Fremdheit“ von Frauen in der Gesellschaft ist, bezieht sich ausschließlich auf das Sprachsystem, auf Genealogien, die Formen von Recht, Politik, Religion, Ordnung und Logik der philosophischen Diskurse. Die materiellen Bedingungen und sozialen Verhältnisse von Arbeit, Armut, Gewalt, von Schichtunterschieden – von all diesen realen Dimensionen von Macht und Herrschaft ist im „affidamento“-Konzept nicht die Rede. Die Verortung der Herrschaft des „Männlichen“ ist so abstrakt und unwiderlegbar in den Bereich der „symbolischen Ordnung“ vorgenommen worden, daß die komplexe Art und Weise, wie Frauen und Männer in die Gesellschaft eingebunden sind, wie sie diese unter den jeweils spezifischen historischen und materiellen Bedingungen reproduzieren und verändern, völlig aus dem Blickfeld gerät. Hier greift die politische Pragmatisierung eines philosophischen Ansatzes aus meiner Sicht zu kurz, das heißt, sie ist für die politische Praxis nicht tauglich.

Der Bezug einzig auf Frauen, ihre Bedürfnisse, Ambitionen und Zusammenhänge macht das „affidamento“ sympathisch und attraktiv. Allerdings: Er ist in der politischen Praxis der Frauenbewegungen nicht neu, wenn auch der radikalste. Aber, daß Frauen lernen müssen, mit ihren Unterschieden und Andersartigkeiten, mit Grenzen und Hierarchien umzugehen, daß Frauennetzwerke und -zusammenhänge Frauen und ihre gesellschaftliche Position stärken, daß weibliche Vorbilder zu schaffen und Frauengeschichte(n) zu sammeln sind, gehört zu den frühen Einsichten feministischer Praxis.

Abgesehen von den theoretischen Problemen, die ich mit dem „affidamento“-Konzept habe – ich halte es für separatistisch, autoritär und unhistorisch –, fehlt mir insbesondere die Perspektive der politischen Umsetzung. Wie damit der Anteil von Frauen in Institutionen erhöht, wie ihre Interessen vertreten werden sollen, wie es damit gelingen soll, patriarchale Strukturen mittelfristig aufzubrechen, will mir nicht einleuchten und soll wohl auch gar nicht sein.

Also ist es weiterhin notwendig, Gleichstellungspolitik zu betreiben, mit ihren bewährten Strategien (Gesetze, Programme, präzise Zielvorgaben) den Frauen eine gleiche (im Sinne von: zu gleichen Teilen) Teilhabe an den gesellschaftlichen Ressourcen zu sichern, unabhängig davon, ob es sich um gutdotierte Stellen oder die Beteiligung an Entscheidungsprozessen handelt. Heidi Degethoff de Campos

Die Autorin ist Zentrale Frauenbeauftragte der TU Berlin.