„Mein Mann hat viel gelesen“

■ Liebevolle Blicke auf die Toten richten: Michaela Höck ist nicht-kirchliche Trauerrednerin

rau M. starb 43jährig an Krebs. In Gedanken an sie gab Trauerrednerin Michaela Höck ihr einen zweiten Namen, den Frau M. wie junge Indianerfrauen heimlich getragen haben könnte. Michaela Höck nannte Frau M. die „Frau, die ihren Platz findet“. Zwanzig Minuten sprach sie zu Verwandten und FreundInnen von einer Frau, die sie nicht kannte, offenbarte ihre Ängste, Träume, beschrieb ihre Lebensstationen, Aufbrüche, den Lymphknotentumor.

„Das ist Dienstleistung“, sagt die Rednerin, eine von derzeit zehn GestalterInnen nicht-kirchlicher Trauerfeiern in Bremen. Ihr Hauptarbeitsplatz sind die „guten Stuben“von Verzweifelten, Trauernden. Dort sitzt auch Michaela Höck – vom Bestattungsinstitut vermittelt – nur kurze Zeit nach einem Todesfall ein, zwei Stunden Angehörigen und Hinterbliebenen gegenüber und fragt: „Was war sie (oder er) für ein Mensch?“

Ein guter, bekommt sie so gut wie immer zur Antwort. Oder eine Witwe zeigt auf eine Handvoll Bücher und sagt: „Mein Mann hat viel gelesen.“Schöne Erinnerungen und positive Bilder drängen sich vor. „Sie war immer für andere da“– „Er hat sein Leben lang gearbeitet“, sind die typischen ersten Sätze. Die Trauerrednerin findet das logisch und erschrickt auch nach drei Jahren im Job noch manchmal über so wenig Persönliches. „Ich habe mich da selbst auch schon als arrogant ertappt. Jetzt sage ich mir: Ich will einen liebevollen Blick auf das Leben der Toten richten.“

Milde und doch klar auf die Menschen sehen und den Zorn darüber mäßigen, daß sich einer zu Tode gesoffen hat: Michaela Höck ist darin Profi. Mit 27 Jahren schon Pastorin in der Mini-Gemeinde Delitzsch, Nähe Leipzig, hat sie gelernt, sich in andere einzufühlen. Inzwischen, sieben Jahre später, ist sie aus der Kirche ausgetreten, war Frauenbeauftragte in Varrel und gehört zur Bundesarbeitsgemeinschaft „Trauerfeier“e.V. (Ende '96 gegründet). Zwei bis sieben Trauerreden hält Michaela Höck pro Woche: Vorher ist sie aufgeregt, hinterher geschlaucht.

„Ich habe auch schon einen Säugling beerdigt“, sagt sie und zeigt durch die Formulierung, wieviel sie bei jeder Feier von sich selber preisgibt. Ihre Visitenkarete prägt der Spruch „Das letzte Wort“. Verantwortung spürt sie – die Menschen wünschen sich Trost von ihr –, und in den Feierhallen der Institute oder Friedhofskapellen steht sie die ganze Zeit ganz allein vorne hinter ihrem Pult. „Das gibt mir Schutz.“Selten trägt sie Schwarz. Eine 70jährige verabschiedete sie jüngst in Hellgrau, „denn das Leben der Frau war ziemlich hell.“

Zwei Tage nimmt sich Michaela Höck meist Zeit, um aus den fein säuberlich gemachten Notizen in ihrem Trauerbuch, aus Fotografien und dem Eindruck, den Wohnzimmereinrichtungen, Aquarien oder die Hauskatzen bei ihr hinterlassen, einen roten Faden für ihre Rede zu formen. Jedes Leben soll ein besonderes gewesen sein. „Auch wenn ich das manchmal nicht erkennen kann. Wenn die Highlights angeblich der Kleingarten und der Campingplatz gewesen sind.“Vielleicht fallen ihr dann aber auf einem Bild noch die wachen Augen des Verstorbenen auf. Bei Nummer 460 ist Michaela Höck in ihrem Trauerbuch angelangt, „und ich hatte noch für jeden Menschen eine eigene Idee.“Der spastisch gelähmte Junge Fiete wurde an ihrem Schreibtisch „der Lehrende“. Einem Schneidermeister sprach sie „den Maßanzug seines Lebens“zu. Wenn hinterher dann jemand sagt: Als hätten Sie ihn gekannt – „dann habe ich mein Ziel erreicht.“

Daß ihr Eltern einmal nicht gesagt haben, daß ihr toter Sohn Aids hatte, und sie mit einer Geschichte über eine aus Afrika mitgebrachte Krankheit abspeisten, das hat die Trauerrednerin bis heute nicht verschmerzt. Immerhin teilten ihr die Eltern nach der Bestattung die Wahrheit mit. „Gesellschaftliche Tabus reichen vom Leben bis in den Tod, da gehören Aids, Alkohol, Selbsttötung dazu. Aber auch, daß jemand mehrmals verheiratet war, wird gern verschwiegen.“Da falle es schwer, sich auf die Auftragsarbeit zu konzentrieren.

Anders als etwa Bremens bekannteste Trauerrednerin Ingrid Pfeiffer will Michaela Höck die Grenze zur Trauerbegleitung oder Trauerarbeit nicht überschreiten. Konkurrenz in Bremen unter den RednerInnen sei latent da – auch arbeitslos gewordene PastorInnen drängen auf den Markt. Eigentlich aber ist die Trauerrede für 350 bis 450 Mark als weltliche Alternative zu kirchlichen Zeremonien bei den Freidenkern beheimatet. In Berlin zum Beispiel bildet der Humanistische Verband seit kurzem entsprechende Ritual-RednerInnen aus.

Die Bremer Gruppe der Arbeitsgemeinschaft „Trauerfeier“tauschte sich aktuell über den Umgang mit peinlichen Situationen aus: Was sagst du den Leuten, wenn die Sargträger mit dem Sarg im Grab verschwinden? (Tatsächlich geschehen.) Trauerreden dürfen auch lustig sein, findet Michaela Höck. Es kann aber durchaus passieren, daß die Trauergäste stur nach unten blicken und sie mit einer ausgefeilten Anekdote im Regen steht. Am Ende sagt sie immer „Amen“.

Silvia Plahl