Schriften zu Zeitschriften
: Zu Shakespeare!

■ „Theaterschrift“ ist wieder da

„Die Stücke von heute sind die Klassiker von morgen.“ Mit diesem Spruch wirbt der Verlag der Autoren am Ende der neuesten Ausgabe der Theaterschrift für sein Programm und bietet damit den ganzen vorangehenden 206 Seiten die Stirn. Denn dort wird das Phänomen verhandelt, daß die Klassiker, allen voran Shakespeare, heutzutage so hoch im Kurs stehen wie lange nicht. Wobei die historische Distanz zum Text zwar ein Argument ist, die spezielle, für alle Konkretisierungen offene Konzeption der Shakespeare- Charaktere aber ein viel wichtigeres. Das mach erst mal.

Fiona Shaw als „Richard II.“ Abb. aus dem bespr. Heft

Mit dem Themenheft, das nach der „Rückkehr der Klassiker“ fragt, meldet sich die Theaterschrift selbst nach über einem Jahr zurück. Die ersten zehn Ausgaben erschienen zwischen 1992 und 1995, herausgegeben als dramaturgisch-theoretische Begleitbücher zum künstlerischen Programm von fünf kooperierenden europäischen Theaterinstitutionen: Hebbel Theater (Berlin), Felix Meritis (Amsterdam), Wiener Festwochen, Theater am Turm (Frankfurt) und Kaaitheater (Brüssel).

Der zweiten Zehnerstaffel, die jetzt begonnen hat, ging eine strukturelle Zäsur voraus. Das TaT gibt es als produzierendes Haus nicht mehr, aber dessen ehemaliger Leiter Tom Stromberg nahm das Theaterschrift- Projekt zu seiner neuen Arbeitsstelle mit. Zu den Herausgebern zählt nun also auch die Expo 2000 Hannover, außerdem das Berliner Künstlerhaus Bethanien, wo die zuvor in Brüssel beheimatete Redaktion ihren neuen Sitz hat.

Äußerlich ist der Theaterschrift dieser Wandel gut bekommen. Die ersten Hefte hatten sich zu sehr hinter ihrer intellektuellen Zulieferfunktion versteckt, mit sandfarbenen, gilbanfälligen Umschlägen, die nur minimale Informationen über den Inhalt preisgaben. Jetzt macht sich die Theaterschrift auf den Weg von der Kladde zum broschierten Buch. Die „Klassiker“-Ausgabe erfreut mit größerem Format, sattrotem Einband, besserem Papier und sogar einigen kleinen Fotos. Geblieben sind die vier Spalten pro Doppelseite, in denen die Texte auf deutsch, französisch, niederländisch und englisch nebeneinanderstehen.

Angstfrei also geht man optisch größerer Popularität entgegen und beherzt virulente Fragen an. Warum werden heute so viele Klassiker inszeniert, und zwar nicht im Ansatz so bilderstürmerisch wie noch vor 20 Jahren? Beiträge von Elfriede Jelinek oder dem Literaturwissenschaftler Anselm Haverkamp, Interviews mit Peter Greenaway, Robert Lepage, Jan Lauwers oder Deborah Warner umkreisen das Problemfeld locker, die jeweilige Arbeit recht detailliert.

Wobei gerade Jelinek das neue, eingemeindende Verständnis des klassischen Erbes pointiert, wenn sie über ihr eigenes Schreiben feststellt: „Ich will natürlich zu mehreren und größer sein, als ich bin, so kommen sie daher, so kommen sie mir gerade recht, die Nachbarskinder Fichte, Hegel, Hölderlins, und bilden eine babylonische Mauer mit mir. Müssen sich einfügen, müssen sich mir fügen, da gibt's nichts, sonst schneide ich ihnen von ihrem Gestell was ab.“

Tatsächlich scheint gerade die unvoreingenommene Hinwendung zu Klassikern auch in der Theaterarbeit etwa des Frankokanadiers Robert Lepage oder des Belgiers Jan Lauwers mit einem souveränen ästhetischen Zugriff auf den Stoff einherzugehen. Auch wenn Lauwers die aktuelle Konjunktur Shakespeares durchaus als Impuls versteht, sich in wirtschaftlich schwachen Zeiten auf der Suche nach Gewißheiten an die Ursprünge zu drängen, so sagt er doch: „1968 hieß es, wir müssen alles kaputtmachen, wie in einer Revolution. Heute brauchen wir das vielleicht nicht mehr; wir müssen zurückgehen und sehen, was gut war.“

Konsolidierung nicht in konservatorischer Absicht, sondern als Versuch, sich jetzt und heute gelassen anzueignen, was noch nützlich erscheint, sei es als Bruchstück oder als Essenz. Ein Resümee, das sich sehen lassen kann, das allerdings nicht unwesentlich dadurch geschönt wird, daß nicht Vertreter des künstlerischen Mittelstands zum Thema befragt wurden, sondern ausgewiesene Avantgarde- Künstler, deren Arbeiten dann nicht einfach „Macbeth“ heißen, sondern etwa „Needcompany's Macbeth“.

Aber dafür ist Theaterschrift eben doch zu sehr Vereinsblatt: Nicht der allgemeine Trend steht zur Debatte, sondern diejenigen Theaterleute erhalten das Wort, die den herausgebenden Institutionen nahestehen. Selbst wenn sie sich gar nicht zum Thema äußern, wie Romeo Castellucci von der italienischen Societàs Rafaello Sanzio, dessen Text zu seiner „Oresteia“ abgedruckt ist. Amüsiert wird man dafür durch Peter Greenaways Wadenbisse gegen den Shakespeare-Populisierer Kenneth Branagh, und für allerlei Wissenschaftshuberei entschädigen insbesondere einige sympathisch schlechtgelaunte, aber deswegen nur um so aufschlußreichere Antworten von Jan Lauwers im Gespräch mit dem Shakespeare-Übersetzer Klaus Reichert.

Petra Kohse

„Theaterschrift“ Nr. 11: „Die Rückkehr der Klassiker?“. 19,80 DM. Zu beziehen über Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin